1840 -
Münster
: Coppenrath
- Autor: Welter, Theodor Bernhard
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium, Höhere Bürgerschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gymnasium, Höhere Bürgerschule
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
323
Kanonen, in rath- und thatloser Flucht durch- und über einander
auf die Brücke. Jeder wollte der Erste sein; hier galt kein
Befehl, kein Rang mehr, Jeder kämpfte um sein Leben. Viele
wurden in dem Gedränge erdrückt, viele von den Rädern der
Kanonen und Wagen zerquetscht, viele von der Brücke hinunter
in den Strom gestürzt. In diese wilde Mcnschenfluth hinein
donnerten die Kanonen der Russen und richteten eine entsetzliche
Verwüstung an. Zuletzt brach die Brücke ein; Tausende fanden
ihren Tod in den Wellen, und Alle, welche noch am jenseitigen
Ufer waren, wurden gefangen. Über 30,000 Mann verloren die
Franzosen bei diesem Übergange am 27. November. Napoleon
selbst, einsehend die Hoffnungslosigkeit seiner Lage, verließ am
5. December das Heer. Wie Lerxes einst, der Führer von
Millionen, aus Griechenland fliehend, in einem Kahne in feil*
Asien wiederanlagte, so durchjagte Napoleon in einem elenden
Schlitten, den Trümmern seines Heeres voraus, die öden Schnee-
und Eisfelder Rußlands, nach Wilna, und von da über War-
schau, Dresden und Mainz nach Paris, um schnell die Bildung
eines neuen Heeres zu veranstalten. Den Oberbefehl über die
zurückgebliebenen Trümmer überließ ec dem Könige von Neapel.
Seitdem wich alle Zucht und Ordnung, und das Elend der Fran-
zosen überstieg jedes Maß. Soldaten von allen Regimentern
liefen wild durch einander. Die wenigsten Reiter hatten noch
Pferde, vielen fehlte es sogar an Schuhen, und sie umwickelten
kläglich die Füße mit Kleidern. Dazu wüthete der Hunger so
entsetzlich, daß selbst Pferde mit Gier verzehrt wurden. Wie
Todesgestalten wanderten die Soldaten über die Schnee- und
Eisfelder; ganze Wolken von Kosaken zogen hinter ihnen her.
Nirgends Ruhe! nirgends Rast! Kaum hatten sie ein Feuer an-
gemacht und sich um dasselbe gelagert; augenblicklich schreckte sie wieder
das Hurra der Kosacken auf. Der bloße Ruf: „Kosacken!" setzte
ganze Haufen in schnellen Trab; wen die Kraft zum Fliehen ver-
ließ, streckte vergebens die Hand nach den athemlos Vorübereilen-
den aus. Betäubt vor Kalte wanderten viele wie Wahnsinnige
mitten in das Feuer. Die Russen fanden oft des Morgens um
21 *