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1. Theil 1 - S. 102

1839 - Leipzig : Fleischer
102 der aller andern Philosophen vorzogen. Dies waren Leute, die sich mit dem Nachdenken über die höheren Angelegenheiten des Menschen, Religion, Gottheit, menschliche Seele u. s. w. beschäftigten. Aber die meisten derselben waren anmaßende Menschen, welche durch Geschwätz sich das Ansehen großer Gelehrsamkeit und Weisheit gaben. Sokrates war ganz das Gegentheil von ihnen, und als einmal das delphische Orakel ihn für den Weisesten Griechenlands erklärt hatte, sagte er zu seinen Schülern: „Wißt ihr, worin meine ganze Weisheit besteht? Darin, daß ich weiß, daß ich nichts weiß." Die andern Philosophen aber, die man Sophisten nannte, glaubten viel zu wissen, und wuß- ten doch nichts. Es war damals üblich, daß die jungen Männer die Gesellschaft der Philosophen aufsuchten, sie den ganzen Tag begleiteten, und den Reden derselben aufmerksam zuhörten. Für diese Erlaubniß pflegte man dem Lehrer ein für alle Mal ein bedeutendes Geschenk zu machen, und die Sophisten erlaubten daher nur reichen Jünglingen den Zutritt. Sokrates hingegen nahm Arme so gut als Reiche auf, und seine Rede war so anziehend, daß einer seiner Schüler, Antisthe- nes, täglich eine Meile weit nach Athen kam, um ihn zu hören, und ein anderer, der Philosoph Euklides, hatte gar vier Meilen von Megara bis nach Athen, und doch kam er jede Woche; ja, als einmal Krieg zwischen Athen und seiner Vaterstadt entstand, und bei Todes- strafe verboten war, nach Mögara zu kommen, schlich er sich in Frauens- kleidern durch das Thor. Wirklich war auch Sokrates nicht nur der Weiseste, sondern auch der beste Mensch von der Welt. Er war die Sanftmuth, Friedfertigkeit und Bescheidenheit selbst, hatte aber ein ganz eigenes Talent, die Schwächen Anderer lächerlich zu machen, doch auf eine so harmlose Art, daß man ihm nicht wohl zürnen konnte. Die Schlechten machte er sich dadurch freilich zu Feinden, aber die Guten liebten ihn dafür desto inniger. Sie hatten auch Ursache dazu, und er liebte sie wieder mit der ganzen Innigkeit der Freundschaft. Selbst gegen seine Feinde war er sanft und verzeihend. Als er einst mit mehreren seiner Schüler über die Straße ging, begegnete ihm ein Mensch, den Sokrates grüßte, weil er ihn kannte. Der Mensch mochte aber den Sokrates nicht leiden können, und dankte nicht. Die Schü- ler wurden darüber unwillig, und sagten: „Aber, lieber Sokrates, warum grüßest du auch einen solchen groben Menschen?" — „Woll- tet ihr denn," antwortete Sokrates, „daß ich eben so grob seyn sollte als er?" — Ein anderes Mal begegnete er einem Menschen, der, entweder aus Ungeschicklichkeit oder aus Haß .gegen Sokrates, beim Vorbeigehen heftig an ihn anrannte. Die Schüler waren so aufge- bracht, daß sie den Menschen schlagen wollten. Sokrates aber sprach: „Nicht doch! wenn ein Esel mit einem Sacke euch begegnet, und an euch anrennt, werdet fhr ihn da prügeln? Ich hätte ihm aus dem *
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