1839 -
Leipzig
: Fleischer
- Autor: Nösselt, Friedrich
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Bürgerschule, Gelehrtenschule
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
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viele Ritter nicht auf, von ihren Raubschlössern aus die Ruhe des
Landes zu stören. Einer der ärgsten war Graf Eberbard von
Würtemberg, der den Wahlspruch hatte: Gottes Freund, aller
Welt Feind! Er konnte nicht vergessen, daß Rudolph sonst seines
Gleichen gewesen war, und wollte ihm nicht gehorchen. Aber Rudolph
wußte sich Gehorsam zu verschaffen. Er belagerte Stuttgart so lange,
bis Eberhard Ruhe zu halten versprach. Außerdem zerstörte der Kai-
ser eine Menge von Raubschlössern; in -"'nem Monate einmal 66. Die
Uebetthäter ließ er nach Erfurt bringen. Hier wurden die Edelleute ^
enthauptet, die Knechte aber aufgehenkt. Das machte Eindruck *).
°) Von seiner Klugheit erzählt man folgendes Beispiel. Als er einst in Er-
furt war, trat ein Kaufmann aus Lübeck vor ihn, und klagte gegen einen Gastwirth
von Erfurt, dem er einen Beutel mit Gold zur Verwahrung gegeben habe, und
der nun die ganze Sache ableugne. Rudolph ließ den Beklagten holen, befragte
ihn, und erhielt die Versicherung, daß er von keinem Beutel wisie, und der Kauf-
mann ein Lügner sey. Allein den Kaiser täuschte er nicht; der durchschaute den
ganzen Betrug. Wie von ungefähr sagte er während des Gesprächs zum Gast-
wirthe: „sich! du hast ja an deinem Gürtel einen köstlichen Beutel hängen! Laß
doch einmal sehen!" Sogleich nahm ihn der Gastwirth ab, überreichte ihn dem
Kaiser, und bat diesen, ihn doch als Geschenk anzunehmen. Rudolph hatte nur
etwas von dem Manne in Händen haben wollen. Er nahm einen Vorwand hin«
auszugehen, und sandte einen Diener zur Frau des Wirthö: dieser ließe ihr sagen,
sie solle ihm einmal den bewußten Beutel mit dem Golde schicken; zum Zeichen,
daß die Botschaft von ihm selbst käme, schicke er hier seine Tasche mit. Die Frau
gehorchte sogleich. Sobald der Kaiser den Beutel hatte, befragte er den Beklagten
noch einmal. Dieser blieb aber bei seiner Aussage. Jetzt holte Rudolph den Beutel
vor, und rief: „Kennst du diesen Beutel?" Der Bösewicht verblich, fiel auf
seine Knie nieder, und bat um Gnade, wurde aber sofort mit Recht zum Galgen
abgeführt.
Ergötzlicher ist der Vorfall, der sich mit Rudolph in Mainz zutrug. Es war
kaltes Wetter, und da er auf der Straße fror, so trat er in das Haus eines.
Bäckers, um sich am Backofen zu wärmen. Die Frau des Bäckers wußte nicht,
daß er der Kaiser scy; denn er war kein Freund von Staat und Putz, und trug
selbst bei Feierlichkeiten nur einen grauen Mantel von grober Wolle. Auch jetzt
hatte er ein gewöhnliches Wamniö an, und die .Frau hielt ihn für einen
gemeinen Reiter aus dem Gefolge des Kaisers. Da sie nun auch von der Ein-
quartierung zu leiden hatte, so machte sie ihrem Herzen Luft, und schimpfte tüchtig
auf den Bettelkaiser, der mit seinen Leuten den Bürgern so zur Last falle. Ru-
dolph lächelte; die Frau aber wurde nur noch zorniger, und da sie gerade diekoh-
lengluth ausgießen wollte, so goß sie eine ganze Kanne über den vermeintlichen
Kriegsknecht. Der Kaiser blieb gelassen, und ging triefend nach Hause. Aber zu
Mittage schickte er einen Bedienten in kaiserlicher Liverei mit mehreren Schüsseln
zu der Frau; das schicke ihr, ließ er ihr sagen, der Reitersmann, den sie so be-
gossen habe. Himmel! wie erschrak die Frau, da sie hörte, was sie angerichtet
habe. Aber sie erstarrte fast vor Angst, als ihr zugleich angedeutet wurde, sie sollte
sogleich vor dem Kaiser erscheinen. Daß sie sterben müsse, schien ihr gewiß; sie
nahm Abschied von Mann und Kindern, und ging zitternd. Als sie zum Kaiser
eintrat, sah dieser sie freundlich an, und sprach: „ich danke euch, daß ihr heute so