1846 -
Breslau
: Graß, Barth
- Autor: Löschke, Karl Julius
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
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Völkerwanderung.
Allgemeine Bewegung unter den Völkern Europa's.
§ 64. Als im I. 410 Italien durch Alarich beunruhigt wurde,
riefen die Römer, um es zu schützen, alle Heere, welche die Grenzen
des Reiches besetzt hielten, herbei. Dadurch ward im fernen Norden,
im heutigen England, die Grenze den Einfällen der Völkerschaften,
welche im jetzigen Schottland lebten, preisgegeben, und nun drangen
dieselben, die Picten und Scoten, unaufhaltsam in Britannien ein.
Auch der Rhein und die Donau waren nicht mehr besetzt; darum wur-
den diese Flüsse, besonders der erstere, von den germanischen Völker-
schaften überschritten, und gleich einem gewaltigen Strome, der seine
Dämme durchbrochen hat, überflutheten die Germanen das römische
Gebiet. Das war ein Wechsel der bisherigen Wohnplätze, wie ihn die
Geschichte noch nie erfahren hatte und der auch seitdem nie wieder
vorgekommen ist. Mit Recht heißt er die große Völkerwanderung.
Da kamen die Burgunder, die früher zwischen der Elbe und
Weichsel, nicht weit von der Küste der Ostsee, wohnten, und ließen sich
in Gallien an der Rhone nieder; es kamen die Sueven, die nördlich
von den Burgundern an der Ostsee, im heutigen Pommern, ihre Hei-
math gehabt hatten, und nahmen Platz in Spanien; es kamen die
Vandalen, andere Nachbarn der Burgunder und Sueven, und zo-
gen nach Spanien in Begleitung der Alanen, die von der Wolga
und dem Don herangezogen waren, setzten dann aber sogar über die
Meerenge von Gibraltar und gründeten im nördlichen Afrika unter ih-
rem Anführer Geiserich das große Vandalenreich; es kamen die Fran-
ken, die früher östlich vom niedern Rhein wohnten, und zogen über
den Rhein nach Gallien, das von ihnen in der Folge den Namen Frank-
reich erhielt; es kamen nach Alarichs Tode die Westgothen und blie-
den in Spanien und im südwestlichen Gallien; es kamen vom Norden
aus dem heutigen Schottland die Picten und Scoten, und dräng-
ten die Britannier, die zum Theil über das Meer hinweg ihren
Feinden sich entzogen und im nordwestlichen Theile Frankreichs sich
niederließen; aber aus den Ländern zwischen dem Rhein und der Elbe
zogen die Angeln, ein Theil des Sachsen-Volkes, hinüber nach Bri-
tannien und trieben die Picten und Scoten wieder zurück in ihre nörd-
lichen Gebirge, setzten sich aber selbst in Britannien fest, so daß nach
ihnen das Land England (Angel-Land) benannt wurde; dann kamen
auch, wie sogleich erzählt werden soll, wieder einmal die Hunnen da-
zwischen, und furchtbar hauseten sie unter den Völkerschaften, auf welche
sie sich warfen.