1846 -
Breslau
: Graß, Barth
- Autor: Löschke, Karl Julius
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
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Waldenser. Inquisition.
wandeln. Viele folgten seinem Beispiele; Männer und Frauen, Un-
gelehrte und vor der Welt Verachtete zogen in den Dörfern umher,
predigten in den Hausern, auf den Straßen, in den Kirchen, ermahn-
ten, arm zu werden, wie sie waren, und in ihrer Armuth den Schätzen
des Himmelreichs nachzujagen. Ihr ungestümes Verfahren drohte aller-
dings, alle weltliche Ordnung, ohne welche es keinen dauernden Frieden
giebt, zu zerstören; darum griffen auch die Geistlichen ein und unter-
sagten das Predigen, wie die Auslegung der heiligen Schrift überhaupt.
Statt aber den Waldensern, denn so nannte man die Anhänger des
Petrus Waldus, Recht zu geben, wo sie Recht hatten, statt die Lehr-
meinungen des Petrus Waldus zu untersuchen, anstatt selbst, wie es
wol billig gewesen wäre, dem Prunke zu entsagen und zur Einfach-
heit der Apostel zurückzukehren, ließen die Geistlichen nur strenge
Verbote ausgehen, fügten, als diese nichts halfen, Drohungen hinzu,
stießen dann die Waldenser aus der Kirchengemeinschaft und verfolgten
sie. Demungeachtet breiteten sich diese im südlichen Frankreich, ja bis
über die Pyrenäen nach Spanien hin, und im nördlichen Italien, be-
sonders im Mailändischen weiter aus. Das Verlangen des Volks, die
Bibel zu lesen, wurde immer dringender, immer allgemeiner. Eben
deshalb wurden aber auch die Kraftanstrengungen der Geistlichkeit aufs
Höchste gesteigert. Die Waldenser, Albigenser und alle andern, welche
von der feststehenden Lehre der katholischen Kirche abwichen, wurden als
Ketzer betrachtet und zur Ausrottung derselben hielten Priester und
Mönche kein Mittel für zu schlecht. Fand man einen Ketzer, so wurde
sein Haus niedergerissen; zeigte er Reue und versprach er, der Ketzerei
zu entsagen, so wurde er an einen Ort versetzt, in welchem nur recht-
gläubige Christen wohnten; konnte er bloß durch Zwang bewogen wer-
den, sein Unrecht einzugeftehen, so hielt man ihn in sicherer Haft; dul-
dete ein Gutsherr auf seinem Grund und Boden Ketzer, so sollte Hab
und Gut desselben eingezogen werden. Da auch dieses geschärfte Ver-
fahren noch nicht genügend erschien, so kam man auf ein anderes gleich
furchtbares Mittel, die Inquisition. In den Ländern, die der Ketze-
rei verdächtig waren, sollten an jedem Orte der Pfarrer und etwa zwei
oder drei angesehene Glieder aus der Gemeinde zusammentreten und
allen Ketzern nachzuspüren. Zu diesem Zwecke sollten sie das Recht
haben, in jedes Haus zu jeder Zeit einzudringen und zu allem befugt
sein, was zur Ausrottung der Ketzerei ihnen zweckmäßig erschien. In
der Folge wurden die Jnquisi'tionsgerichte einem neu gestifteten Mönchs-
orden, den Dominikanern, übergeben, die fühllos und ohne alle Scho-
nung verfuhren. Die Ketzerrichter nahmen jede Anklage an und luden
den Verklagten vor sich, ohne ihm den Namen seines heimlichen An-