1846 -
Breslau
: Graß, Barth
- Autor: Löschke, Karl Julius
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
Luthers Jugend.
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§ 147. In Mansfeld, einer Stadt, nicht weit von Eisleben, lebte
ein ehrbarer geachteter Bergmann, Hans Luther; auch seine Frau
Margarethe, eine geborne Lindemann, stand wegen ihrer Gottesfurcht
und ihres fleißigen Betens in großer Achtung. Diesen frommen Eltern
ward im I. 1483 am 10. Nov., da sie eben in Eisleben waren, ein
Sohn geboren. Am folgenden Tage, der dem Bischof Martin gewid-
met war, wurde derselbe getauft und erhielt den Namen Martin.
Zu Mansfeld, in der freien Gebirgsluft, wuchs er auf. Seine Eltern
hielten ihn schon im zarten Kindesalter zum Fleiß und zur Gottesfurcht
an; darum ist er auch fein lebelang fleißig und gottesfürchtig geblieben.
Frühzeitig brachte ihn sein Vater in die Schule, wo der Knabe, wie
es damals in den Schulen gewöhnlich war, vor allen Dingen die la-
teinische Grammatik lernen mußte; doch hat er auch die zehn Gebote,
den Kinderglauben und das Vaterunser fleißig und schleunig gelernt.
Später kam er auf die berühmtere Schule nach Magdeburg, dann
nach Eisenach, wo er mütterliche Verwandte hatte. Gleich mehreren
andern Schülern ging er, um sich sein Brot zu verdienen, von Haus
zu Haus und sang. Eine fromme Frau, Eotta mit Namen, die den
andächtigen Ehorknaben lieb gewann, ward seine Wohlthaterin. Nach
einem Aufenthalt von wenigen Jahren begab er sich auf die Universität
Erfurt. Seine Anlagen und sein Talent erregten bald allgemeine Be-
wunderung. „Fleißig gebetet, ist halb studirt," das war sein Wahlspruch,
und demgemäß sing er an jedem Morgen sein Lernen mit einem herz-
lichen Gebete an. Es ergötzte ihn, sich in der Bibliothek zu Erfurt
aufzuhalten, und in den Büchern, welche er dort fand, zu lesen. Einst-
mals kam ihm daselbst unter andern auch eine lateinische Bibel vor^
Er mochte ungefähr 20 Jahr alt sein; stets auf Schulen gewesen, hatte
er schon manches Buch in den Händen gehabt, aber eine Bibel hatte
er noch nicht gesehen, er wußte eigentlich auch nicht, was sie Alles ent-
halte. Bibeln waren nämlich in jener Zeit etwas Seltenes, und den
Schulcectoren in den sächsischen Ländern war laut bischöflichen Befehls
ausdrücklich geboten worden: sie sollten die Bücher der heiligen Schrift
in ihren Schulen nicht erklären, weder öffentlich, noch im Privat-Un-
terricht. Wie erstaunte nun Luther, als er fand, daß in der Bibel
außer den sonn- und festtäglichen Evangelien noch vieles Andere zu
lesen sei; wie begierig las.er den ersten Abschnitt, den er aufschlug, die
Geschichte von Hanna und Samuel (1. Sam. Kap. 1.). Ein feuriger
von der Liebe zu Gott durchdrungener Jüngling nimmt zum ersten
Male das Buch der göttlichen Offenbarung in seine Hand und liest
darin von einer frommen Mutter und einem frommen Knaben, der
früh schon sein Leben dem Herrn weihete! Da schlug dem jungen Luther