1846 -
Breslau
: Graß, Barth
- Autor: Löschke, Karl Julius
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
Revolution.
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durch die Straßen erscholl, in denen die aufgeregten Volksmassen wog-
ten, alle Gesetze wurden mit Füßen getreten, des Gehorsams hielt sich
Jeder entbunden. König Ludwig vermochte nichts gegen den Ungestüm
des Volkes. Die National-Versammlung arbeitete daran, Ruhe und
Ordnung wieder herzustellen; doch vergeblich. Nach kurzer Zeit der
Ruhe brachen gewöhnlich um so heftigere Stürme aus. Der König
war nicht in Paris, ec war in Versailles. „Nach Versailles!" so ertönte
eines Tages (den 5. October) plötzlich das Volksgeschrei, und Tausende
von Männern, viel mehrere von Weibern aus dem gemeinen Volke zo-
gen unter wildem Geschrei aus der Stadt nach Versailles und forder-
ten ungestüm vom Könige Bestätigung der Menschenrechte, forderten
Abstellung der Hungersnoth, die in Paris ausgebrochen war und de-
ren Entstehen man ihm Schuld gab. Ein Theil der königlichen Leib-
wache ging zu den Empörern über, andere wurden niedcrgestoßen, und
kaum vermochte die Nacht, dem Wüthen Einhalt zu thun, nachdem
sich der König bereits auf jegliche Weise dem Volke willfährig erwiesen
hatte. Kaum war der Morgen angebrochen, so ward wiederum wildes
Gebrüll im Schlosse vernommen. Eine Rotte Bewaffneter war einge-
drungen, hatte die Leibwächter an den innern Gemächern niedergehauen
und nur durch eine geheime Thür rettete die Königin, auf deren Er-
mordung es abgesehen war, ihr Leben. „Der König nach Paris!" rie-
fen stürmisch die Haufen. Ludwig versprach, nach Paris zu kommen;
das Volk verlangte, daß dies sogleich geschehe, und der König gab nach;
denn er zitterte vor dem Gedanken, gewaltsame Maßregeln zu brauchen
gegen den Willen seines Volkes. Um ein Uhr Mittags verließ er Ver-
sailles; außer der Königin und seinen beiden Kindern saßen noch einige
der nächsten Verwandten mit ihm im Wagen. Die ihn begleiteten
mit wildem Ungestüm, deren konnten gegen -10,000 sein. Langsam be-
wegte sich die tobende Masse. Unmittelbar vor dem Wagen wurden
auf Stangen die Köpfe der Ermordeten getragen; ein langer Kerl mit
einem blutigen Beile aus der Schulter schritt zwischen ihnen her und
schwenkte von Zeit zu Zeit mit drohender Geberde sein Beil. Unauf-
hörlich wurden Verwünschungen und Drohungen gegen die königliche
Familie ausgestoßen; die Königin selbst hörte, wie das Volk dicht am
Wagen ihren Kops zum Spielball verlangte; bald hier, bald da wur-
den Gewehre abgefeuert und mehrmals schlugen Kugeln an den könig-
lichen Wagen. Erst am Abend ward Paris erreicht, wo nun Lud-
wig Xvi. mit seiner Familie wie ein Gefangener bewacht wurde. Ein
späterer Versuch, nach Deutschland zu entfliehen, mißlang (20.Juni 1701).
§ 207. Wenn gleich in Paris Manches gethan wurde, um ge-
waltsamen Mord zu verhindern, so traten doch in der gährenden Masse