1861 -
Eisleben Leipzig
: Klöppel G. E. Schulze
- Autor: Nitzelnadel, Friedrich August
- Hrsg.: Christlicher Verein im Nördlichen Deutschland
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Konfession (WdK): Evangelisch-Reformiert
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lebe die Reform! Nieder mit Guizot!" Da erschien Nach-
mittags um 3 Uhr in der ebenfalls stürmisch aufgeregten
Kammer Guizot mit der Botschaft, daß der König den Gra-
fen Mols habe rufen lassen, um ihn mit der Bildung ei-
nes neuen Kabinets zu beauftragen. Die Wahlreform
sollte gewährt sein. Adjutanten des Königs flogen nach
allen Seiten hin, um diese Nachricht weiter zu verbreiten,
welche dem lebhafter und blutiger werdenden Aufstande Ein-
halt thun sollte. Sie wurde überall mit Jubel aufgenom-
nen, aus den Fenstern und von den Balkons wehten Tü-
cher, das Feuern zwischen den Linientruppen und den Auf-
ständischen ruhte, die meisten Barrikaden witrden verlassen.
Nachmittags um 5 Uhr gewährten die Boulevards den
nämlichen Anblick, wie an großen Volksfesttagen, so ruhig
wogten Massen neugieriger Spaziergänger auf und ab,
und als der Abend zu grauen anfing, bot die fast überall
festlich erleuchtete Stadt einen zauberischen Anblick dar.
Da trat ein Ereigniß ein, welches plötzlich die Scene
veränderte. Es mochte gegen 10 Uhr sein, als unter don-
nerndem Gesang der Marseillaise, unter Trommelwirbel,
wehenden Fahnen und Fackelschein ein Volkshaufen von
etwa 2000 Mann, der hauptsächlich aus Arbeitern der Vor-
städte bestand, in guter Ordnung auf dem Boulevard der
Jtaliäncr erschien, durch neuen Zuwachs immer mehr an-
schwoll und zuletzt mit einer Kolonne sich vereinigte, welche
dem Justizminister Hebert ein Pereat (Nieder mit ihm!)
gebracht hatte. Diese Kolonne war die Bande des Repu-
blikaners Lag ränge aus Lyon, die auf den Barrikaden
des Quartiers St. Martin einen Theil des Tages über
gekämpft batte. Sie bestand aus lauter Blousenmännern
mit aufgekrämptcn Hemdärmeln und entblößten Brüsten,
Gesicht und Hände von Pulver geschwärzt, durchweg mit
Flinten, Säbeln oder Piken bewaffnet. Fackeln und eine rothe
Fahne wurden voraus getragen. Vor dem Hotel der aus-
wärtigen Angelegenheiten, Guizot's Wohnung, stieß die
vorderste Kolonne des Zugs auf ein Bataillon des 14.
Regiments, welches, im Viereck ausgestellt, den Durchzug
verwehrte. Der Mann mic der rothen Fahne und einige
Fackelträger gingen trotzig auf das Bataillon los, schwenk-
ten die Fahne und die Fackeln hin und her, und das Pferd
des kommandirenden Offiziers fing an sich zu bäumen.
Die vorderste Reihe der Truppen gerieth in Unordnung,
das Viereck that sich auf und der Offizier nahm mitten da-