1861 -
Eisleben Leipzig
: Klöppel G. E. Schulze
- Autor: Nitzelnadel, Friedrich August
- Hrsg.: Christlicher Verein im Nördlichen Deutschland
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Konfession (WdK): Evangelisch-Reformiert
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der die königliche Großmuth mit Undank vergalt und kurz
nachher an der Spitze der Polen gegen die Deutschen in
der Provinz Posen einen förmlichen Rassenkrieg führte.
Adjutanten des Königs brachten schnell nach allen
Seiten der Stadt hin die Freudenbotschaft von dem ver-
willigten Abzug der Truppen, von denen nur wenige in
den Kasernen Zurückbleiben sollten. Derselbe geschah übri-
gens mit klingendem Spiel und sollte durch seine Haltung
darthun, daß die Gewalt der Krone unversehrt stehen ge-
blieben sei. An der Spitze der aus dem Schlosse abzieheü-
den Soldaten und Batterien erschien der künftige Thronfol-
ger, der Prinz von Preußen, zu Pferde mit einer Miene
voll tiefen Ernstes, indem irr seinem Antlitz bald eine dunkle
Röthe aufflammte, bald eine äußerste Blässe dasselbe ent-
färbte. Hie und da fielen noch stürmische Scenen vor und
jetzt wurde auch das erste dringende Wort von allgemeiner
Volksbewaffnung gehört, für welche sich mehrere Redner
unter stürmischem Zujauchzen des Volks erhoben. Indessen
aber trug sich im Schlosse des Königs ein Schauspiel höchst
ergreifender Art zu, zu welchem das launenhafte Volk wie
von eirrem tückischen Rachegeiste getrieben wurde. Man
brachte nämlich von allen Seiten die Leichen der im Kampfe
Gefallerrcrr in feicrlicherr Zügen theils auf Bahren theils
in offenen Wagen herbei und setzte sie sänrnrtlich im Schloß-
hofe ab. Jeder Bahre folgte eine Schaar von Leidtragen-
den aus dem Volke, die stumm und mit abgezogenen Hüten
hinter derselben hergingen. Die Träger waren meistcntheilö
die Kämpfer der Barrikade, an welcher der Tobte gefallen,
und Manche trugen in der einen Hand noch die Waffe,
mit der sie gefochten hatten. Die Leichen waren meistens
mit Blumen, grünen Zweigen und Lorbeerkränzen geschmückt.
Dabei fehlte es nicht an Ausrufen, die geeignet waren, die
Gefallenen als Märtyrer für die Freiheit zu preisen und
Haß gegen den König und die bewaffnete Macht in den
Gcmüthern der Zuschauer zu erregen, als trüge der König
und seine Regierung die Schuld von den blutigen Opfern,
welche in dieser Schreckensnacht gefallen waren. End-
lich brach die versammelte Volksmenge plötzlich ihr Schwei-
gen und rief mit lauter gellender Stimme: „Der König
soll kommen!" Und als der König nicht erschien, ließ sich
derselbe Ruf von Neuem hören, so gewaltig und dröhnend,
als wolle er das Schloß in seinen Grundvcsten erschüttern.
Endlich macht man sogar Anstalt, die Leichen die grosse