1845 -
Berlin
: Klemann
- Autor: Duller, Eduard
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
Hermann und Germanicus. (14 — 16 n. Chr.)
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Allen Segest. Der trug noch immer unversöhnlichen Groll gegen ihn im
Herzen, überfiel ihn und schlug ihn in Ketten; das treue Geleite aber be-
freite den Helden und übte Wiedervergeltung an dem Verräther.
Als die Römer von dieser Zwietracht vernahmen, wuchs ihnen aufs
Neue der Muth und sie beschlossen, die Niederlage des Varus zu rächen und
die verlorene Herrschaft wieder zu gewinnen. Große Macht ward gerüstet,
und zuerst kam Tiberius, der bald darauf römischer Kaiser ward, — dann
Germanicus, der Sohn des Drusus, anden Rhein. Der überfiel die Mar-
sen und die Chatten und legte ihre Gaue wüst. Bald sandte ihm Segeft
durch einen Vertrauten Botschaft: er, der stets ein Freund der Römer ge-
wesen, werde von dem Volk in seiner Burg belagert, und bat den Germa-
nicus, daß er mit Heeresmacht käme und ihn befreie. Nicht lange ließ ^der
Römer auf sich warten und entsetzte den Verräther. Da wurden in Se-
gests Burg viele edle Frauen gefunden, unter ihnen auch Hermanns Weib,
Thusnelda, die ihr Vater den Römern als Gefangene übergab. Sie trug
ein Kind des edlen Helden unter'm Herzen; schweigend und thränenlos stand
sie in ihrer Würde da, die Hände unter dein Bilsen gefaltet, und dachte an
Hermann. Als dieser von Segests Niederträchtigkeit vernahm, rief er in
unsäglichem Schmerz von Gau zu Gau um zwiefache Rache, für die Frei-
heit des Volkes zuerst, dann für die seines Weibes und seines ungebornen
Kindes. Da erhoben sich die Eidgenossen aufs Neue voll Wuth gegen die
Römer; Germanicus aber zog stolz und in Siegeshoffnung durch den Teu-
toburger Wald heran. Darin fand er den Wahlplatz, wo die Legionen ge-
fallen waren, und begrub die weißen Gebeine seiner erschlagenen Landsleute.
Hermann erwartete ihn auf einer Haide und bot ihm zwischen Wald und
Sumpf die Schlacht; die ward so klug und wild geschlagen, daß die Rö-
mer wichen. Dann überfiel und bewältigte er rasch das Heer des Cäcina;
nur der Ungestüm der Deutschen rettete diesen alten, erfahrenen Kriegsmann
vor dem Schicksal des Varuö. Um so eifriger dürstete Germanicus nach
dem Ruhm, ganz Deutschland römisch zu machen, und bot alle List der
Kriegskunst auf. An den Meeresküsten fuhr er mit einer Flotte bis hin
zur Mündung der Ems; von dorther drang er jetzt ins Land. Da wichen
die Cherusker, in der Gegend, wo heutzutage Minden steht, hinter die
Weser zurück und erwarteten ihn zur Schlacht. Bevor sie begann, sah Her-
mann seinen Bruder Flavius am andern Ufer des Stromes stehen und rief
ihm zu: „O komm herüber zu Deinem freien Volk, mein Bruder; was käm-
pfest Du in den Reihen der Römer gegen uns? Kennst Du die alten Ei-
chen nicht mehr? Hörst nicht, wir sie Dir Grüße zurauschen aus unsrer
Knabenzeit? Wirf hin, o wirf hin die eitlen Ehren, mit denen die Römer
die Schmach Deiner Abtrünnigkeit und Knechtschaft vergüldcn! O wie viel
schöner ist's, von freien Brüdern geliebt zu sein! Wie viel süßer, auf heimi-
scher Erde als freier Mann zu sterben, denn auf fremder als reicher Sklav
zu leben!" Aber Flavius hatte kein Herz für solche Worte mehr. Da ge-
bot Hermann voll Grimm die Schlacht. Am andern Tage ward sie geschla-
gen, in dem Gau Jdistawiso, vom Morgen bis in die tiefe Nacht. Klug
hatte Hermann den Plan erdacht und bestellt, doch die Wuth des Kampfes
verdarb das Wohlersonnene. Die Cherusker rannten von den waldigen
Hügeln, wo Hermann sie aufgestellt, zu früh ins Thal hinab. Dadurch
entsteht Verwirrung. Die Römer benützen sie, drängen von allen Seiten
und werden Meister des Schlachtfeldes. Da stürmt Hermann hoch zu Roß
wider die Bogenschützen und bahnt sich endlich eine "Gasse. Plötzlich stößt