1845 -
Berlin
: Klemann
- Autor: Duller, Eduard
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
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Fünftes Buch. Fünfter Abschnitt.
tig an der Fußgicht litt, gewann noch Zeit, in einer Sanfte von Jnsbruck
nach Villach in Kärnthen zu flüchten; freiwillig folgte ihm der gefangene
Kurfürst Johann Friedrich dahin, weil er seine Freiheit nicht seinem ver-
haßten Vetter Moritz verdanken wollte. Der Kaiser aber, der sich solches
von Moritz nicht versehen hatte, war bis in den Grund der Seele erschüt-
tert; zum Kriege nicht gerüstet, sah er sich genöthigt, durch seinen Bruder
Ferdinand mit Moritz Frieden zu schließen. Dies geschah zu Passau (vom
3k. Juli bis zum 2. August 1552). Kraft des dort abgeschlossenen Vertrags
wurde der gefangene Landgraf losgegeben, wurden die Geächteten der Reichs-
acht enthoben, und die Protestanten sollten ihren Glauben und ihre Rechte
behalten; kurz: Friede sollte sein zwischen allen Parteien. Dies war die
schöne Frucht von Moritzens Werk. Aber eine bittre Frucht jenes Bünd-
nisses deutscher Fürsten mit dem König von Frankreich war der Verlust der drei
lothringischen Bisthümer Metz, Toul und Verdün fürs deutsche Reich.
Nun kehrten die befreiten Fürsten Philipp und Johann Friedrich
in ihre Lande heim, und mit Jubel empfing jeden sein treues Volk. Da
weinte der alte Meister Lukas Kranach Thränen der Freude, wie er seinen
Herrn wieder in den Armen seiner edlen Hausfrau sah. Kranach überlebte
dies nicht lange; schon ein Jahr darauf (1553) machte sich der einundacht-
zigjährige Greis aus den Weg nach Jenseits, um seinen theuren Herrn dort
anzumelden, und 1554 folgte ihm dieser wirklich hinüber. Deal Landgrafen
hatte das Elend in der Haft die Haare gebleicht, wiewohl er erst achtund-
vierzig Jahre alt war; aber sein Geist war stark und ungebeugt geblieben
und selbst im Kerker hatte er nicht aufgehört, für sein Land zu sorgen.
Seine treue Hausfrau Christine, welche sich für seine Befreiung zweimal
fruchtlos dem Kaiser zu Füßen geworfen hatte, sah er nicht mehr; sie war
vor drei Jahren verschieden; in tiefer Rührung kniete er zu Kassel still an
ihrem Grabe, wahrend in der Kirche der feierliche Dankgottesdienst für seine
Befreiung gehalten wurde. Aber wen er von Treuen noch am Leben fand,
denen gedacht' er redlich die Treu'. So dem tapfern Ritter Heinz von
Lüdder; der hatte ihm die gute Feste Ziegenhain mannhaft bewahrt, als
ein kaiserlicher Feldhauptmann, dem Vertrage zuwider, deren Uebergabe ge-
fordert hatte. Nun verlangte der Kaiser vom Landgrafen, er sollte den
Heinz von Lüdder, weil er ihm getrotzt, aufhangen lassen. Was that der
Landgraf? Er schlang zwar dem Ritter (statt des Stricks) eine Kette um,
aber eine goldne; so erfüllte er buchstäblich des Kaisers Gebot und zeigte
zugleich, daß dieses Mannes Treue rein erfunden, wie Gold im Feuer. Und
wie dieser einzelne Mann, so waren damals alle im Hessenland, und hatte
der Landgraf seiner Stände großer Liebe und Aufopferung viel zu danken.
Nun zog der Kaiser mit großer Heereskraft ins Feld gegen den König
von Frankreich, um diesem die Eroberungen auf deutschem Gebiet wieder
abzugewinnen. Er belagerte Metz, doch das Glück war ihm nicht günstig
und er mußte unverrichteter Dinge wieder abziehen; da sprach er, von der
leidigen Gicht geplagt, voll Bitterkeit: „Das Glück ist ein Weib; wie ich
noch jung war, hielt es mich wertst; jetzt in meinem Alter verläßt es mich."
Gleichwohl setzte er den Kampf gegen Frankreich ohne Glück vier Jahre
lang fort; erst 1556 wurde ein Waffenstillstand geschlossen, kraft dessen Metz,
Toul und Verdün bei Frankreich blieben. Wohl faßte später (1563) Pfalz-
graf Wolfgang den Plan, diese drei Bisthümer wieder zu erobern und erbat
sich dazu vom Landgrafen Geldhilfe und sonstige Unterstützung; aber der
Plan kam nicht zur Ausführung und Lothringen blieb französisch!