1845 -
Berlin
: Klemann
- Autor: Duller, Eduard
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
Kaiser Joseph Ii. (1765-1790).
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er gestattete unbeschränkte Preßfreiheit, und selbst seine eigene Person
entzog er der freien öffentlichen Beurtheilung nicht; ja sogar Spott und
Schmähungen konnten ihn nicht verleiten, jenem Grundsatz untreu zu werden.
Aber auch im österreichischen Staatsverbande gab sich ein reges
Streben nach Reformen kund, welche bald, durch den Einfluß des Mini-
sters Kaunitz und des Kaisers Joseph (wovon im nächsten Abschnitt)
durchgriffen, — sowohl in Bezug auf Gesetzgebung, als auf geistiges Leben,
beides mit besonderer Berücksichtigung des eigentlichen Volkes gegen die
privilegirten Stände. Unter den trefflichen Männern, welche dafür wirkten,
find, außer Kaunitz, besonders der gelehrte Arzt Gerhard van S wie ten
und Joseph von Sonnenfels mit hoher Achtung zu nennen.
6.
Ein Despot bist Du gewesen, — doch ein solcher wie der Tag,
Dessen Sonne Nacht und Nebel neben sich nicht dulden mag.
A n a st a s i u s G r ü n.
Im Jahre 1764 wurde Joseph, der Sohn der Kaiserin Maria The-
resia, in Frankfurt am Main zum römischen König erwählt und gekrönt.
Nach dem Tode feines Vaters Franz I. (am 18. August 1765) empfing er,
damals vierundzwanzig Jahre alt, als Joseph H. die deutsche Kaiserkrone
und wurde neben seiner Mutter Mitregent in den Erblanden. Er war ein
schöner Mann, auf dessen Antlitz, in dessen seelenvollen blauen Augen sich
sein Wohlwollen spiegelte. Voll natürlicher Anlagen und feuriger Thatkraft,
voll Wißbegierde und voll schöner Begeisterung für Menschenwohl, ein Be-
wunderer Friedrichs des Großen, suchte er diesem rühmlich nachzueifern, aber
auf seine eigene Weise. Er besuchte den großen Gegner Oesterreichs 1769
in Neisse, — welchen Besuch Friedrich Ii. später erwiederte. Da Maria
Theresia ihrem kaiserlichen Sohne wenig Einfluß in die Regierung der Erb-
lande gestattete, so durchreiste er dieselben, um mit eignen Augen alle Be-
dürfnisse derselben kennen zu lernen, und ebenso machte er Reisen ins Aus-
land, um seine Kenntnisse zu bereichern und gemeinnützige Anstalten des
Auslandes auch in seine Staaten zu verpflanzen. In seiner Stellung als
Kaiser zum deutschen Reiche überzeugte er sich bald, daß sein Thätigkeits-
trieb überall auf unüberwindliche Schwierigkeiten stieß. Von dem alten
kaiserlichen Ansehen war kaum noch ein Schatten übrig, kaum ein Fleck
Landes noch seiner unmittelbaren Regierung untergeben; sogar die Reichs-
einkünfte des Kaisers waren bis auf eine unbedeutende Summe zusammen-
geschmolzen, — der Reichstag war eine alte Maschine, deren Räderwerk
stockte; die Reichsstände waren untereinander in steter Reibung und die
Stärkeren von ihnen unterdrückten die Schwächeren. Die Rechtspflege des
Reiches, in den Händen des Reichshofraths zu Wien und des Reichskam-
mergerichts zu Wetzlar, war auf das Erbärmlichste bestellt und durch Be-
stechung geschändet; endlose Trägheit hielt den Geschäftsgang auf. Joseph Ii.
versuchte es. die Reichs-Rechtspflege durchgreifend zu verbessern; doch schei-
terte sein Streben. An dem ganzen morschen Gebäude der Reichsverfassung
überhaupt war nichts mehr zu retten; die Schäden hatten schon zu tief ge-
fressen, als daß eine Heilung möglich gewesen wäre; sie mußte völlig ver-