1852 -
Leipzig
: Wigand
- Autor: Winderlich, Carl
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Ii. Abschnitt.
der Meinungen und eine große Zahl von Schriften handelt über dieses
Ereigniß. Die Untersuchungen haben etwa Folgendes ergeben: 1. Die
mosaische Sündfluth ist ein historisches Faktum, das auch in der Zeitbe-
stimmung ziemlich richtig angesetzt ist. 2. Die mosaische Sündfluth er-
streckte sich nicht über die ganze Erde, sondern zu verschiedenen Zeiten
haben, bald hier, bald dort große Ueberschwemmungen Statt gefunden,
welche der beschränkte Gesichtskreis der Bewohner jener Gegenden stets
für eine allgemeine hielt. Gewiss ist, dass die deukalionische Fluth
nieht mit der mosaischen zusammenfällt und auch die Nachrichten über
die übrigen Wasserfluthen lassen sieh nicht mit dieser identifieiren.
3. Demnach ist Noah nicht der zweite Stammvater der Menschen, für
welchen ja auch Deukalion sich ansah, und jeder sich ansehen musste, der
sich aus der für allgemein gehaltenen Sündfluth der Erde gerettet hatte.
So liegt eine deutliche Sage vor, nach welcher Lisuthrus auf dem chal-
daischen Berge dem Wassertode entging. — Den babylonischen Thurm-
bau erklärt Herder als eine Unternehmung des ersten Usurpators in
einem spottenden Bilde. Sinnreich ist diese Deutung allerdings, aber
in dem Sinne Mosis hat sie nicht gelegen. Die Bibel sagt darüber:
Es hatte alle Welt einerlei Zunge und Spraehe. Sie zögen aber in die
Ebene Sinear und sprachen: lasset uns eine Stadt und einen Thurm
bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen
Namen machen, denn wir werden vielleicht zerstreut in alle Welt. Da
verwirrte der Herr ihre Spraehe, dass Keiner den Andern verstand und
also zerstreute sie der Herr in alle Länder. Ungezwungen und vom bibli-
schen Texte wenig abweichend ist die Erklärung, dass die Erbauer jenes
Thurmes uneinig geworden sind und in Folge dessen auseinander gingen,
ohne ihr Werk zu vollenden, worauf sich unter den Menschen natürlich
verschiedene Sprachen oder Dialekte bilden mussten.
Die drei Söhne des Noah (Sem, Cham und Japhet) theilten sich
nun, der Sage nach, gleichsam in die drei damals bekannten Theile
der Erde, das heisst, der Stainm Sem blieb dem Ursitze seiner Väter
am nächsten, Cham zog, wie schon sein Name andeutet, in die heißesten
Erdstriche (Südasien und Afrika) und Japhet (d. i. der Weitver-
breitete) wendete sich nach Norden und Nordwesten (Nordasien und
Europa). Wenn nun von diesen dreien die Menschheit abstammen soll,
so wird es unerklärlich, wie in dem kurzen Zeiträume von etwas über
130 Jahren, welche zwischen der Sündfluth und dem babylonischen
Thurmbau liegen, sich große Völker gebildet haben können,_ und wo,
nach der Bereehnung eines W h i ft o n die Zahl der Noachiden kaum
8000 (gewiß eine viel zu hohe Zahl) betrug? Auch dies ist ein Beweis,
dass die Sündfluth nicht die ganze Erde bedeckt, nicht das ganze Men-
schengeschlecht vernichtet haben könne, dass vielmehr jene Völker aus
früheren Zeiten stammen müssen, mit denen sich die Noaehiden vermijcht
haben mögen. Allein bis jetzt ist es noch keinem Sterblichen gelungen,