1867 -
Berlin
: Vahlen
- Autor: Müller, David
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Höhere Unterrichtsanstalt, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
- Geschlecht (WdK): Jungen
Götterglanben der alten Germanen. Z 16 —17.
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sichern Klang, und bildungsfähig für die höchsten Aufgaben des Geistes. Was
aber mehr als alles dies gilt: Sie besitzen in der sittlichen Kraft ihres Charakters,
in ihrer Sittenreinheit, ihrem ungebrochenen Kriegs- und Todesmuth, in ihrer
Rechtsachtung und Treue einen geistigen Schatz, der sie fähig macht, bald als
das die Welt umgestaltende und verjüngende Volk aus ihrer bisherigen Stille
herauszutreten.
5. Götterglauben der alten Germanen.
§ 17. Ein vollständiges Bild unserer Vorfahren gewinnen wir erst, wenn
wir auch ihren religiösen Glauben kennen: denn in dem, was ein Mensch oder
ein Volk glaubt, stellt sich am besten sein Charakter dar. Wir lernten bereits
oben, (§ 1.) die religiösen Anschauungen unserer alten Vorfahren, der Arier
oder Jndogermanen, kennen: diese sind es, die auch dem spätern, ausgebildcten
Götterglauben der Inder, Griechen und Deutschen in gemeinsamen Zügen zu
Grunde liegen. Es waren die Kräfte der Natur, die sie unter den riesigen
Bäumen, an rauschenden Wasserströmcn, aus weitblickenden Höhen und in schauer-
lichen Waldschluchten verehrten: aber dieselben hatten bereits bei unsern Vor-
fahren persönliche Gestaltungen angenommen, wenn auch nicht in so vollendetem
Grade, wie dies bei den Griechen geschehen. Und noch heute leben diese Ge-
stalten, unserm Volke unbewußt, in Mährchen und Sagen, im Zauberspuk und
Gespensterglauben, unter uns fort, und lassen uns schließen auf die einst von
unseren Vorfahren verehrten Götter.
Die Deutschen kannten einen Himmelsgott, Wuotan oder Wodan, einäugig
— denn der Himmel hat auch nur Ein Äuge, die Sonne — der den grauen
Wolkenhut und den blauen Sturmmantel trägt: im brausenden Wetter fährt er
einher, hoch zu Roß durch die Lust, gefolgt vom wüthendcn Heer, gleich dem
wilden Jäger, der sein Abbild in der Sage ist: aber er ist auch der Gott, der
den Acker segnet, der den Wunsch erfüllt, den Sieg .spendet, überhaupt als All-
vater die Weltgeschicke lenkt. Unter den< Thieren waren ihm Wolf und Rabe
heilig, Rosse fielen ihm zum Opfer; unter den Pflanzen waren ihm Esche und
Hasel geweiht. Als sein Sohn galt Donar, der Gcwittergott, der aus seinem
rothen Barth die Blitze bläst, aus einem Wagen mit Böcken bespannt durch den
Himmel fährt, und seinen mächtigen Hammer in unablässigem Kampfe gegen
die Riesen schwingt. Ihm ist der hochragende Baum, die Eiche geheiligt, und
die rothe Eberesche; unter den Thieren der Fuchs und das Eichhörnchen. Ihm
zur Seite stand der einarmige Schwertgott, Ziu, Tyr oder Sapnot. —
Außerdem ward auch eine Erd- und Himmelsgöttin verehrt, der gleichfalls das
Sturmlied vorausklingt; sie kommt unter verschiedenen Namen vor, je nachdem
die Erde als die dnnkle, die Todten verschlingende gedacht wird, Frau Hel,
Holle, oder als die glänzende im weißen Winterkleide, Frau Bertha. Von
Tacitus wird sie Nerthus genannt; ihr Wohnsitz, erzählt er, sei auf einer
Insel im nördlichen Meer; dort habe sie ihren geheimnißvollen Hain und See,
und ihren Wagen, der zuweilen, Friede und Freude bringend, durch die Länder
geführt werde. Menschlicher gedacht ist sie die Spinnerin, die Göttermutter, die
Haus und Heerd segnet, und bei der die noch ungebornen und bereits wieder
gestorbenen Kinder weilen. Die freundlichen und feindseligen Kräfte der Natur
finden mannigfache Gestaltung, besonders in den Zwergen, die die Hüter der
unterwdischen Schätze und Meister in seiner Erzarbeit sind, so wie in den