1867 -
Berlin
: Vahlen
- Autor: Müller, David
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Höhere Unterrichtsanstalt, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
- Geschlecht (WdK): Jungen
Volksbildung und Volkscharakter nach dem Kriege. § 423—125. 255
Hertzliebster Vater: kan E. K. F. G. selbs ermessen, das es solchem Vater die höchste
schmach ist, so wir nicht sowohl jm vertrawen sollen, daß wir auch Herrn ober Hertzog
Georgen zorn sind. Das weis ich ja von mir wol, wenn diese Sach zu Leipzig also
stünde, wie zu Wittemberg, so wolle ich doch hinein reuten, wen's gleich (E. K. F. G.
verzeihe mir mein nerrisch reden) neun Tage eitel Hertzog Georgen regnete, und ein jeg-
licher neunfach wüthender, denn dieser ist. Er hell meinen Herrn Christum für ein Man
aus Stroh geflochten; das kann mein Herr, vud ich, eiire zeitlang wohl leiden. Ich will
aber E. K. F. G. nicht verbergen, das ich für Hertzog Georgen habe nicht einmal ge-
beten und geweinet, das jn Gott wolt erleuchten. Ich wil auch noch einmal bitten und
weinen, darnach nimmermehr. — Solchs sey E. K. F. G. geschrieben der Meinung,
das E. K. F. G. wisse, ich kome gen Wittenberg in gar viel einem höhern Schutz denn
des Chursürsten. Ich Habs auch nicht in sinn, von E. K. F. G. Schutz begercn. Ja, ich
halt, ich wolle E. K. F G. mehr schützen, denn sie mich schützen könde. Dazu wenn
ich wüsste, das mich E. K. F. G. könde und wolle schützen, so wolt ich nicht komen.
Dieser Sachen sol noch kan kein Schwerd raten oder helffen; Gott mus hie allein schassen,
one alles menschliche sorgen und zuthun. Darum, wer am meisten gleubt, der wird hie
am meisten schützen. Es ist ein ander Man, denn Hertzog Georg mit dem ich Handel,
der kennet mich fast wol, und ich kenne jn nicht vbel. Wenn E. K. F. G. gleubte, so
würde sie Gottes herrligkeit sehen; weil sie aber noch nicht gleubt, hat sie auch noch
nichts gesehen. Gott sey Lieb und Lob in ewigkeit, Amen.
§ 424. Aber nicht nur das niedere Volk hatte Schulen erhalten; es waren
eine Reihe Klöster in lateinische Schulen umgeschasfen, und die Städte
hatten sich beeilt, aus aufgehobenen Stiftern gleichfalls höhere Bildungsanstalten
ins Leben zu rufen. Viele der berühmtesten deutschen Gymnasien, z. B. Schul-
pforte in Thüringen, das Joachimsthal und graue Kloster in Berlin,
das Stift in Tübingen rc. wurzeln in der Reformationszeit. So ward eine
gelehrte Bildung ebenfalls allgemein, die in ihrem ersten Aufschwung die Re-
formation trefflich unterstützte. Mit neuem Glanz blühten die Universitäten auf,
so Wittenberg, wo Melanchthon, Deutschlands Lehrer (praaeepior Germaniae),
genannt, wirkte; andere wie Jena, Helmstedt, Marburg, Königsberg
wurden neu in's Leben gerufen. Durch solche Anstalten erhielt das geistige
Leben der Nation einen festeren Grund, als es bisher gehabt. Dazu kam, vaß
das 16. Jahrhundert nur wenig von Kriegen erschüttert, auch für den Wohl-
stand und das äußerliche Gedeihen des Volkes höchst ersprießlich war. Die
deutsche Reformation war fern davon, die Heiterkeit des Lebens auslöschen zu
wollen: vielmehr hatte man für Gesang, Scherz und fröhliche Laune in Luther
selbst ein Vorbild. Und so ist dieses Jahrhundert reicher als irgend ein anderes
an Lachen und Witz; Fischarts Spottgedichte wie Hans Sachsens Schwänke
und Comödien wirkten neben dem Ernst der Zeiten mit zu demselben großen
Ziel des religiösen Glaubens und der Bildung. Noch war Stadt und Land
voll froher Feste und uralter, eigenthümlicher Sitten. Nimmt man dazu die
schöne, würdige, kleidsame Tracht des 16. Jahrhunderts, und daß im Ganzen
noch in Bauart und Geräth der alte deutsche Geschmack (§ 190.) der herrschende
war, so kann man vielleicht ohne zu fehlen, das 16. Jahrhundert als das eigenste,
poetischste hinstellen, das Deutschland gehabt hat.
§ 425. Hundert Jahre später ist all dieser Reichthum eigenthümlichen Lebens
verschwunden. Die anbrechende, traurige Zeit meldet sich mit dem beginnenden
kirchlichen Hader der verschiedenen Confessionen, welcher ohne Liebe und ohne
Geist geführt, nur gelehrter Rohheit die Thür öffnete; sie erscheint ferner in der
Ueberhandnahme des römischen Rechtes, welches an sich eine Wohlthat war, da