1867 -
Berlin
: Vahlen
- Autor: Müller, David
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Höhere Unterrichtsanstalt, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
- Geschlecht (WdK): Jungen
368 Die letzten Jahre der Knechtschaft 1810—1813. § 631—633.
Metternich (nicht ohne Grund) eine russische Uebermacht in Europa für ebenso
drohend, wie die Napoleonifche. Ein Bündniß mit dem großen Sieger schien
im Osten, in Galizien und den Donauprovinzen eine Entschädigung für das im
Westen Verlorene zu verheißen. Napoleon bewarb sich jetzt eifrig um Oest-
reichs Bündniß. Ein solches ward denn auch willig abgeschlossen, und zwar
dahin lautend, daß 30,000 Mann unter Marschall Schwarzenberg für den be-
vorstehenden Feldzug Napoleon zur Hilfe gestellt wurden.
§ 632. Aber in welche furchtbare Lage kam Preußen! Zwischen Fried-
rich Wilhelm Iii. und Alexander war die alte Freundschaft bei der Peters-
burger Reise des Ersteren erneuert worden, und auch die preußischen Patrioten
konnten damals nicht anders, als in Rußland ihren natürlichen Rückhalt scheu.
Und nun mit Napoleon gegen Rußland fechten? Mit Napoleon, bei dem es
vielleicht schon beschlossene Sache war, bei der nächsten günstigen Gelegenheit
das gehaßte Preußen ganz von der Karte zu tilgen? In dieser Noth riethen
die Vaterlandsfreunde zu einem Verzweiflungskampf gegen Napoleon. — Scharn-
horst hatte 124,000 Mann bereit, die Festungen waren neu bewaffnet, die
Stimmung des Volkes vortrefflich, und das Land bot zwischen seinen Flüssen
und Sümpfen fast unüberwindlich feste Vertheidigungslager. Müsse man fallen,
so wolle man wenigstens mit Ehren fallen. Dazu war auch der König ent-
schlossen; doch suchte man cs zum Aeußersten noch nicht kommen zu lassen. Har-
denberg bot sogar Napoleon ein Bündniß an. Dieser, der Preußens Rüstungen
kannte, antwortete nicht. Von der anderen Seite gab auch Alexander keine be-
stimmte Zusicherung seines Schutzes. In fieberhafter Aufregung drängten damals
Sorge und Hoffnung, Unschlüffigkeit und Verzwciflnngsmuth in Preußen durch
und gegen einander. Ein Netz von Truppen ward indessen von Danzig, Polen,
Hamburg, ja vom Rheine her immer dichter und fester um das unglückliche Land
gezogen. Konnte man wissen, ob es nicht nächstens nach der beliebten Formel
heißen würde: das Haus der Hohcnzollern hat aufgehört zu regieren? Endlich
irat Napoleon gebieterisch mit seiner Forderung heraus: Preußen solle ein Bünd-
niß mit ihm gegen Rußland schließen, ihm 20,000 Mann Hilfstruppen stellen,
den Durchmarsch des Heeres gestatten, die Verpflegung desselben übernehmen,
und die Festungen wenigstens zum Theil ihm wieder einräumen. Dieser Ver-
trag ward am 24. Febr. 1812 geschlossen. Er brach die letzte Hoffnung der
preußischen Patrioten, die mit Rußland im Bunde einen Todeskampf für Preu-
ßens und Deutschlands Unabhängigkeit erwartet hatten. Alle die jahrelangen
Rüstungen waren nun in die Hand des Feindes gegeben. An 300 Offiziere
traten aus preußischem Dienste und begaben sich meist nach Rußland, um als
„deutsche Legion" gegen den Unterdrücker mitzukämpfen.
§ 633. Mit dem Frühling 1812 begannen ungeheure Truppenmassen, so
zahlreich wie sie seit Attila's und Terxes Zeiten keinem Feldherru mehr gefolgt
waren, sich durch Deutschland gegen Rußland zu wälzen. Die Schaaren er-
schienen im schönsten militärischen Glanze und im stolzen Bewußtsein ihrer Un-
besieglichkeit. Von den 600,000 Mann, die Napoleon gegen Rußland führte,
waren 200,000 Mann Deutsche. Sie haben fast alle für eine fremde Sache
auf fremdem Boden den Tod gefunden. — Im Mai kam Napoleon nach Dres-
den. Hier drängten sich die unterworfenen Könige und Fürsten um ihn, mit
seinen Marschällen und Generalen fast auf denselben Rang gestellt. Es war
der höchste Sonnenblick seines Glücks. Selbst Franz I. und Friedrich Wil-
helm Iii. konnten es nicht vermeiden, auf kurze Zeit ihn hier zu begrüßen. Von
hier kam auch der stolze Tagesbefehl: die Könige, Prinzen, Fürsten und Mar-
schälle sollten sich zu ihren Heeresabtheilungen begeben. Dann folgte Napoleon