1867 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Geschlecht (WdK): Jungen
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2. Die Lage Europa's im Anfänge der neuesten Zeit.
Gemüthern, die bei der ersten günstigen Gelegenheit in einen offenen
Aufstand auszubrechen drohte.
Diejenigen Stücke Italiens, welche Oesterreich nicht sich selbst un-
mittelbar aneignen konnte, besetzte es mit Erzherzogen, die Souve-
raine hießen. Erzherzog Franz Iv., Erbe des als Herzog von Breis-
gau 1803 gestorbenen letzten Este, stellte sich in Modena ein, dem
1829 durch Erbschaft auch das Herzogthum Massa-Carara anheim-
fiel; in Parma trat kraft der Verträge mit Napoleon (April 1814)
dessen Gemahlin, und seit 5. Mai 1821 dessen Wittwe, die Erzher-
zogin Marie Luise, in dem blühenden Alter von 25 Jahren, die
Regierung an. Lucca, welches kleine Ländchen Napoleon 1805 als
eigenes Herzogthum an seine Schwester Elisa, Gemahlin von Felix
Bacciocchi, geschenkt hatte, behielt auch jetzt bis zum Absterben der
Exkaiserin Marie Luise in Parma seine eigene Herzogin, die Exköni-
gin von Etrurien, die Infantin Marie Luise. Die Habsburg-
Lothringische Linie kehrte in der Person des Erzherzogs Ferdinand Iii.
aus ihrem Großherzogthum Würzburg nach Toscana zurück, wie
der fromme Dulder Pius Vii. aus der Gefangenschaft nach seinem
durch den Wiener Congreß im Norden (durch die Po-Linie) zu Gunsten
Oesterreichs etwas verkürzten Kirchenstaate.
In Deutschland war der Rheinbund ausgelöst worden, und man
erwartete die Wiederherstellung eines deutschen Reiches, das, mächtig
nach außen und frei im Innern, die ihm gebührende Stellung
im Rathe der europäischen Hauptmächte einnehmen könnte. Dem
stand aber einerseits die selbstsüchtige Staatskunst der auswärtigen
Mächte entgegen und andererseits die Eifersucht der deutschen Mächte
gegeneinander. Rußland, England, Frankreich sahen nur zu gern
aus verschiedenen Gründen in Deutschland einen zerstückelten, ohn-
mächtigen und schwachen Staat, als daß sie nicht Alles hätten aus-
bieten sollen, um es zu einem solchen zu machen. Die deutschen
Mächte aber hatten die ihnen von Napoleon eingeräumte unbeschränkte
Machtvollkommenheit bereits zu lieb gewonnen, als daß sie sich leicht
zur Aufgebung derselben hätten entschließen können, was gleichwohl
schlechthin nothwendig gewesen sein würde, sofern in der deutschen
Kaiserwürde nicht bloß eine leere Würde, sondern auch eine wahre
und wirkliche Macht wiederhergestellt werden sollte. Am schwersten
aber war die Wiederherstellung der deutschen Kaisermacht mit der
Stellung zu vereinbaren, die Preußen in Europa in Folge der Er-
eignisse von 1813—1815 wieder eingenommen hatte. Denn da es
sich wieder zu dem Range einer europäischen Hauptmacht empor-
geschwungen hatte, so konnte es nicht freiwillig auf denselben Ver-
zicht leisten, indem es sich Oesterreich unterordnete. Eben so konnte
sich Oesterreich Preußen nicht unterordnen. So mußte also entweder
eine von diesen beiden Hauptmächten außer dem Vereine, also ihm
fremdartig, wo nicht feindlich, bleiben, oder das Ganze aus zwei
besondern Reichen, nämlich aus einem norddeutschen mit Preußen,