1867 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Geschlecht (WdK): Jungen
32 5. Der österreichische Staatskanzler Clemens Wenzel Fürst von Metternich.
unfreiwillige Anerkennung seiner Bedeutung. Freilich, wer tiefer
blickte, sah einen tauben Mann, für die Interessen der Gegenwart
wenig empfänglich, in die Erinnerungen der Vergangenheit einge-
sponnen, schwatzhaft bis zum Uebermaße und nur aus Gewohnheit
noch thätig. In dieser auf äußere Repräsentation beschränkten Thä-
tigkeit traf ihn der Tag des Gerichtes, unvorbereitet und unverhofft.
Seine letzten Acte galten dem Zweck, bereits angebahnte Reformen
wieder rückgängig zu machen, da man sich „nichts abzwingen lassen
dürfe". Die eigene Resignation wurde ihm denn doch abgezwungen.
Aber Metternich's Muth war keineswegs gebrochen. Kaum in Lon-
don angelangt, trafen ihn Beileidsschreiben jüngerer österreichischer
Diplomaten, die ihren Entschluß ankündigten, gleichfalls den Staats-
dienst zu verlassen. Metternich tadelte ihren Kleinmuth und prophe-
zeite, daß in Oesterreich und Europa in naher Zeit wieder die jetzt
verwüsteten Geleise der Politik würden befahren werden. Seine
Rückkehr nach Wien und was in Oesterreich seitdem geschah, schien
seinen Ausspruch zu bekräftigen. Ja, er erlebte in seinen letzten
Tagen noch den Triumph, daß die rathlose Regierung in der italie-
nischen Frage an seinen Orakelspruch appellirte. Welchen Werth sein
Rath besaß, darüber haben die jüngsten Ereignisse entschieden. Sol-
len wir am Schluffe das Urtheil aussprechen, das die Betrachtung
seines Lebens in uns hervorruft, so wäre es dieses: Als europäischer
Staatsmann steigt und sinkt seine Bedeutung mit dem Werthe, den
man den Verträgen vom Jahre 1815 beimißt. Wer in ihnen die
dauernde und rechte Grundlage der öffentlichen Ordnung erblickt,
muß auch Metternich den Preis der Größe zollen. Wer der ent-
gegengesetzten Meinung ist, kann in ihm nur den gewandten und
überaus vom Glücke begünstigten Diplomaten bewundern. Als
österreichischen Minister trifft ihn ein härteres Urtheil. Vor Allem
damit beschäftigt, sich im Amte und Ansehen zu erhalten, that er
nichts, um aus der Macht Oesterreich den Staat Oesterreich hervor-
gehen zu lassen. Seine Existenz war durch die Dauer jener Macht
bedingt und daher hielt er sie mit krampfhafter Zähigkeit aufrecht.
Die Verzögerung dieses Prozesses hat aber über Oesterreich ein
schweres Verhängniß heraufbeschworen.