1867 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Geschlecht (WdK): Jungen
56. Der Aufstand der einheimischen Truppen in Indien.
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unbedingt und für immer unterworfen. Aber die Verschiedenheit des
Glaubens, der Sitte, der Sprache war noch eben so groß, wie hun-
dert Jahre vorher, als Lord Clive (1757) mit seinen Abenteurern in
Vorderindien zum erstenmal Fuß faßte. Der Hochmuth und das
Unterdrücknngssystem der Briten hatten den Haß der einheimischen
Bevölkerung gegen die fremde Herrschaft immer lebendig erhalten.
Dieser Haß war in allen Klassen derselbe. Die eingeborenen Fürsten,
zuletzt noch der König von Oude (Audh), waren, je nach den Um-
ständen, vertrieben, entsetzt, pensionirt worden, oder befanden sich,
wenn ihnen eine nominelle Gewalt übrig geblieben, bei deren Aus-
übung in der größten Abhängigkeit von den Civil- und Militär-
agenten der Ostindischen Compagnie, die das anglo-indische Reich für
ihre Rechnung verwaltete und deren Directoren ihren Sitz in London
hatten. Ein großer Theil des höheren Lehnsadels war durch frühere
Confiscationen, durch Geldstrafen und kostspielige Processe in seinen
Vermögensverhältnissen herabgekommen, sah sich bei dem geringsten
Verdacht der Auflehnung in seinem Eigenthum und seiner Freiheit
bedroht und mußte sich das willkürliche Eingreifen der Eroberer in
alle seine inneren Verhältnisse gefallen lassen. Die kleinen Besitzer
und die arbeitende Menge wurden von der Last der Abgaben und
noch mehr von der Art ihrer Erhebung zu Boden gedrückt, bei der
besonders die einheimischen Steuereinnehmer, im Vertrauen auf den
Schutz ihrer englischen Vorgesetzten, sich oft die größten Ungerechtig-
keiten und Härten erlaubten. Der Unterschied der Religion zwischen
den Engländern und den Eingeborenen dauerte in seiner ganzen Stärke
fort. Die englische Herrschaft hatte im Ganzen wenig zur Verbrei-
tung des Chriftenthums in Indien gethan, und die etwaigen Bemü-
hungen ihrer Missionäre waren fast ohne Erfolg geblieben. Die An-
hänger des Brahmaismus fühlten sich von der Geringschätzung ver-
letzt, welche die Briten gegen ihre Kastenunterschiede bewiesen; die
zahlreichen Anhänger des Islam, unter ihnen viele Abkömmlinge der
mongolischen Eroberer des Landes, deren religiöser Eifer durch die
häufigen Pilgerfahrten nach Mekka und die Berührung mit ihren
Glaubensgenossen immer wieder anfgefrischt wurde, ertrugen mit
äußerster Ungeduld das ihnen auferlegte Joch. Der exclusive Cha-
rakter des Engländers, die Geringschätzung, mit der er auf Alles
Fremde herabsieht, die starre Entfernung, in der er sich von den Ein-
geborenen in den ihnen unterworfenen Ländern hält, machte jede An-
näherung zwischen den beiden Racen unmöglich, und flößte dem Hindu,
je nach seiner Stellung, Furcht oder Haß ein. Die Anhänger des
Brahmaismus und des Islams traten einander in einem großen
Theile Jndien's durch Boten und geheime Zeichen näher, die den
Engländern unbekannt blieben oder unverständlich waren. Vergebens
hatte einige Zeit vorher der geniale General Rapier bei seiner An-
wesenheit in Indien (1851) sich mit bitterem Tadel über die Miß-
bräuche der Verwaltung, über die Demoralisirung der Truppen ge-