1862 -
Soest
: Nasse
- Autor: Giefers, Wilhelm Engelbert
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
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Joseph's Ii. Ende.
Auch wollte der Kaiser in Ungarn die neue Steuerordnung einführcn,
und die dem Adel zuständigen Besitzungen mit denen aller andern Ein-
wohner gleichstellen. Aber der Adel erhob Klagen und Gegenvorstel-
lungen aller Art, und die Unzufriedenheit der Ungarn über die ver-
fassungswidrigen, ihre Nationalität verletzenden Neuerungen des Kai-
sers stieg immer höher. Der Türkenirieg, dessen Schauplatz Ungarn
war, mehrte den Mißmuth der Ungarn nicht weniger, als Anregungen
von außen ; denn Preußen stellte sich immer drohender an den Grenzen
von Schlesien auf und schien den Ungarn, wie den Türken Hülfe brin-
gen zu wollen.
0. Um dem in Ungarn auf den höchsten Grad gestiegenen Miß-
vergnügen zu steuern, sah Joseph, durch den Aufruhr in den Nieder-
landen schwer getroffen, zum Widerruf aller seiner Verordnungen in
Ungarn sich genöthigt, und sowohl die Verwaltung als auch die Rechts-
pflege wieder auf den alten Fuß zu stellen. Daher erließ Joseph am
28. Jan. 1790 ein Patent, durch welches alle seit seinem Regierungs-
antritte erlassenen Verordnungen für dieses Königreich außer Kraft ge-
setzt, die wegen Einführung der neuen Steuer getroffenen Veranstal-
tungen aufgehoben und die Abhaltung des Reichstags, der seit längerer
Zeit nicht mehr gehalten worden war, verheißen wurde; nur das Dul-
dungsgesetz und die Aufhebung der Leibeigenschaft blieben bestehen. Die
Reichskrone, welche der Kaiser nach Wien hatte bringen lassen, ohne
sich jemals der Krönung unterzogen zu haben, wurde zurückgegeben
und im Triumphe nach Ofen geführt. Auch den Tyrolern, deren eigen-
thümliche Verfassung der Kaiser verändert und die er besonders durch
Einführung der Conscription erbittert hatte, gab er kurz vor seinem
Tode ihre alten Freiheiten zurück.
Unter den schmerzlichen Gefühlen, mit denen diese Entschließungen gefaßt wor-
den waren, hielt der tiefgebeugte Kaiser alle Ergebnisse seiner Anstrengungen für ver-
loren und äußerte kurz vor seinem Tode, man solle ihm die Grabschrift setzen: „Hier
ruht ein Fürst, dessen Abst.hten rein waren, der aber das Unglück hatte, alle seine
Entwürfe scheitern zu sehen." Daraus haben Viele geschlossen, Joseph sei mit dem
schmerzlichen Bewußtsein geschieden, sein eigenes Werk zerstört zu haben, nachdem er
vor seinem Ende feierlich zurückgenommen, wofür er gelebt und sein Leben geopfert
habe. Doch nahm er eigentlich nur die Verordnungen zurück, welche die Niederlande
und Ungarn betrafen; für die Länder, welche den Kern her Monarchie bilden, haben
die Gesetzbücher und Verwaltuugsformen Joseph's ihre Geltung bis in die neuere
Zeit hinein behalten.
7. Die Beschwerden des Feldzuges von 1788, in deren Ertragung
der Kaiser den gemeinen Kriegern es gleich that, der Aufenthalt in
dem ungesunden Lager bei Semlin hatten seine Gesundheit stark erschüt-
tert; am 5. Dec. 1788 kam er bedeutend krank nach Wien zurück.
Schon im April 1769 hatte seine Krankheit einen bedenklichen Charak-
ter angenommen, daß er, um ein erbauliches Beispiel zu geben, in der
Burgcapelle, in Gege. wart des Cardinal-Erzbischofs, des päpstlichen
Nuntius und einer zahlreichen Versammlung das h. Abendmahl sich reichen
ließ. Sein Befinden besserte sich bald nachher und im Sommer 1789
erfreute er sich einer scheinbaren Genesung. Aber im Winter kehrte
das Nebel mit doppelter Kraft zurück und im Februar 1790 sah man
sein Ende mit Bestimmtheit herannahen, welchem er mit großer Ruhe,
und, trotz seiner körpernchen Leiden, mit unermüdeter Thätigkeit entge-
gen ging. Am 13. und 15. Febr. 1790 ließ er sich die h. Sterbesakra-
mente reichen. Sein Beichtvater, ein Augustiner-Barfüßer, mußte ihm