1854 -
Leipzig
: Hirschfeld
- Autor: Stichart, Franz Otto
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Regionen (OPAC): Sachsen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte, Sachsen
Johann Friedrich der Großmüthige.
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Alba vom Pferde geholfen hatte, wollte sich Johann Friedrich
auf ein Knie niedcrlassen, was aber der Kaiser nicht geschehen ließ.
Dann bor Johann Friedrich dem Kaiser nach deutscher Weise die
Hand, dieser aber zog die seinige zurück und wendete sich ab. „Groß-
mächtigster, allergnädigstcr Kaiser!" redete tief gebeugt der Kurfürst
jenen an, aber Karl V. unterbrach ihn hastig mit den Worten: „So?
Bin ich nun Euer gnädiger Kaiser? Ihr habt mich lange nicht so
geheißen!" Hierauf entgegnete der Kurfürst vorerst nichts, sondern
zuckte die Achseln, neigte das Haupt und seufzte mit einer kummer-
vollen Miene. Dann redete er den Kaiser wieder an und sprach: „Ich
bin Ew. kaiserlichen Majestät Gefangener und bitte um ein fürstliches
Gefängniß!" — „ „Ihr sollt gehalten werden, wie Ihr cs verdient!""
entgegnete streng der Kaiser, indem er den Gefangenen der Obhut des
bösen Herzogs Alba übergab. Mit edler Würde gab hieraus der
Kurfürst dem Kaiser zur Antwort: „Ich bin in Ew. Majestät Gewalt;
darum thut mit mir, wie cs Euch beliebt und Gott gefällt!" Der
Kurfürst ward hierauf in das nahe Dorf Außig gebracht, wo seine
Wunden verbunden wurden.
Der Kaiser rückte hierauf vor Wittenberg, um es zu belagern.
Da es sich nicht ergeben wollte, ergriff derselbe ein fürwahr unkaiser-
liches Mittel, um die Uebergabe zu erzwingen. Er ließ ein Kriegsge-
richt niedersetzen, welches, unter Alba's Vorsitz, aus spanischen und
italienischen Offizieren*) bestand, und dieses fällte am 10. Mai über
den gefangenen Kurfürsten das Urtel, daß derselbe als Majcstätsver-
brecher enthauptet werden sollte. Eben saß der Kurfürst mit dem
gleichfalls gefangenen Herzog Ernst von Braunschweig in einem Zelte
des Lagers beim Schachspiel, als man ihm dieses Todesurtheil ankün-
digte. Mit großer Ruhe und Gottergebenheit hörte der edle Kurfürst
dasselbe an und erwiederte bloß, er verhoffe, kaiserliche Majestät werde
sich hierbei nicht übereilen. Sollte es aber dennoch ein Ernst sein, so
bäte er, daß man's ihm zeitig und gewiß sagen möchte, damit er wegen
seiner Gemahlin und Kinder die Nothdurft verfügen könnte. „Und
nun" — fügte er zu Ernst von Braunschwcig gewendet, hinzu —
„lasset uns fortspiclcn, Herr Herzog!" —
Auf die Fürbitte des Kurfürsten Joachim von Brandenburg
und des Herzogs Wilhelm von Jülich und Cleve ließ sich der
Kaiser bewegen, das Todesurtheil zurückzunehmen, und es wurde die
sogenannte Wittenberger Capitulation beschlossen, die freilich
in ihren Bedingungen hart genug war. Der Kurfürst mußte nämlich
unter dem 19. Mai für sich und seine Nachkommen auf die
Kurwürde und seine Lande verzichten, die Festungen Witten-
berg und Gotha dem Kaiser übergeben, und bis auf weitere Entschei-
dung dessen Gefangener bleiben.
Die auf diese Weise dem Kurfürsten Johann Friedrich entzo-
*) Wie der Kaiser im Widerstreit gegen die Reichsgesetze, nämlich ohne Zustim-
mung der Kurfürsten, unfern Johann Friedrich in die Reichsacht erklärt hatte,
so ließ er auch hier eben so gesetzwidrig durch ausländische Soldner ihn rum Tode
verurtheilen.