1859 -
Leipzig
: Fleischer
- Autor: Kurts, Friedrich, Nösselt, Friedrich
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Bürgerschule, Gelehrtenschule, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
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Aber sein Gottvertrauen hielt auch hier seinen sinkenden Muth aufrecht. „Vater
und Mutter verlassen mich," rief er, die Augen gen Himmel gerichtet, ans,
„aber der Himmel nimmt mich auf." Ja wohl, der Herr verließ ihn nicht.
Denn ehe er noch von der Tafel aufgestanden war, erhielt er ein zweites
Schreiben von Spalatin: wenn er noch nicht fort wäre, so solle er nur blei-
den; der Kurfürst wolle ihn schützen.
Um diese Zeit war ein Mann nach Wittenberg gekommen, der von der
Vorsehung dazu bestimmt war, mit Luther gemeinschaftlich das große Werk der
Reformation zu Stande zu bringen. Dies war Philipp Melanchthon.
Eigentlich hieß er Schwarzerd, und hatte den Namen Melanchthon darum an-
genommen, weil die Gelehrten damaliger Zeit ihre deutsch klingenden Namen
gern ins Lateinische oder Griechische übersetzten. Sein Geburtsort war Bretten,
ein Städtchen im Großherzogthum Baden, 1497. Hier lebten seine frommen
Eltern — der Vater war ein Stückgießer und Waffenschmidt — die ihre Kin-
der früh schon zur Frömmigkeit anhielten. Das Beispiel und die Lehren der
guten Eltern wirkten auch so Vortheilhaft auf den sanften Knaben, daß er sein
ganzes Leben hindurch nie von Gottes Wegen abwich, und sein inniges Gott-
vertrauen ihn bei allen Veränderungen seiner Schicksale aufrecht erhielt. Er
verlor schon im 11. Jahre seinen Vater. Der Großvater gab ihm nun einen
treuen Erzieher, bis er nach Pforzheim auf die Gelehrtenschule kam.' Hier wurde
er bald der Liebliug aller Lehrer wegen seines stillen, bescheidenen Fleißes und
seiner schnellen Fortschritte, die so groß waren, daß er schon im 14. Jahre die
Universität beziehen konnte. Er studirte in Heidelberg, dann in Tübingen.
Hier fiel ihm eine Bibel in die Hände, und diese bewirkte bei ihm dasselbe,
was sie bei Lnthern bewirkt hatte. Nun legte er sich mit ganzer Seele, neben
dem Studium der alten Sprachen, auf die Erkenntniß der christlichen Religion.
Seine Gelehrsamkeit, ob er sie gleich nie zur Schau trug, machte ihn bald
so berühmt, daß ihn Friedrich der Weise 1518 nach Wittenberg als Professor
berief. Seine erste Bekanntschaft war hier Luther, und so verschieden auch
Beide an Temperament waren, so wurden sie doch die innigsten Freunde;
denn Beide waren von gleicher Liebe zu Gott erfüllt, Beide hatten gleichen
Eifer, die Religion Jesu in ihrer unverfälschten Reinheit zu lehren, und den
Unterricht des Volks zu verbessern. So heftig, aufbrausend, kräftig und selbst
übereilt Luther zuweilen war, so sanft, bescheiden, furchtsam und besonnen
war Melanchthon. Aber solcher Männer bedurfte auch die Vorsehung, um die
Reformation zu bewirken. Melanchthons Mäßigung hätte diese nie zu Stande
gebracht; dagegen wurde Luthers Kraft, sein Feuereifer durch die Bedacht-
samkeit seines Melanchthons gemäßigt, und so wirkten Beide vereint unend-
lichen Segen für die Menschheit. Ohne Neid erkannte Luther die größere
Gelehrsamkeit seines Freundes an; er pflegte ihn seinen Philipp zu nennen,
und dieser wieder nannte ihn schlechtweg den Doctor. Beide machten Witten-
berg zur berühmtesten Universität ihrer Zeit; von allen Seiten strömten die
Jünglinge herbei, von ihnen zu lernen, und Melanchthon hatte zuweilen über
2000 Zuhörer in seinen Vorlesungen. Von Körper war er schmächtig, hatte blondes
Haar, eine breite, offne Stirn, freundliche Augen und seine Rede war bedächtig.
Luther hätte gern die Streitigkeiten ruhen lassen, um nur seinem Amte
zu leben; aber seine Feinde ließen nicht ab, ihn zu reizen, und er war nicht