1859 -
Leipzig
: Fleischer
- Autor: Kurts, Friedrich, Nösselt, Friedrich
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Bürgerschule, Gelehrtenschule, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
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rung ist allgemein. Ach! ich habe sie vom ersten Tage meiner Regierung an
bemerkt!" Die Nacht brachte er auf dem Schiffe zu. Gegen Morgen ließ er-
den erfahrenen Münnich in die Cajüte kommen. „Feldmarschall!" sagte er,
„Ihr habt ja so viele Gefahren in Eurem Leben gesehen; sagt mir, was soll
ich thun?" — „Bis jetzt ist nichts verloren," antwortete Münnich. „Segeln
Sie schnell nach Reval (in Esthland), nehmen Sie dort ein Kriegsschiff, fah-
ren Sie nach Preußen, wo Ihr Heer steht, und kehren Sie an der Spitze
von 80,000 Mann nach Ihren Staaten zurück. Ich schwöre, ehe sechs
Wochen vergehen, sind Sie wieder Herr Ihres Reiches." — So vernünftig
dieser Rath auch war, so ließ sich Peter doch durch seine Höflinge bestimmen,
ihn zu verwerfen. Er fuhr wieder nach Oranienbaum zurück, und schwankte
von einem Entschlüsse zum andern. Bald ließ er sich sein schnellstes Pferd
satteln, um allein nach Polen zu entfliehen; bald wollte er sich seiner Ge-
mahlin zu Füßen werfen. Endlich beschloß er, ihr den russischen Thron zu
überlassen, und sie dafür um die Erlaubniß zu bitten, sich nach Holstein zu-
rückziehen zu dürfen. Sogleich ließ er seine ihm nock) getreuen Haustruppen
auseinander gehen und die Waffen niederlegen. „Sir!" sprach Münnich,
den dieser Anblick mit Unwillen erfüllte, „wissen Sie denn nicht an der
Spitze Ihrer Soldaten als Kaiser zu sterben? Wenn Sie sich fürchten, nieder-
gehauen zu werden, so nehmen Sie ein Cruzifix in die Hand, und Keiner
wird wagen, Hand an Sie zu legen; ich werde das Schwert führen." Aber
vergebens! Petern riß sein Verhängniß fort. Er schrieb an Katharinen, und
bat demüthig um freien Abzug. Diese war indeß bis Peterhos gekommen,
ohne auf Truppen zu stoßen. Statt der Antwort schickte sie ihm eine Ent-
sagungs-Acte zu, die er unterschreiben sollte. Sie fing sich an: „Während
der kurzen Zeit meiner Regierung habe ich erkannt, daß ich für eine solche
Last zu schwach bin und daß es über meine Kräfte geht, das Reich auf irgend
eine Art zu regieren" u. s. w. — Und das unterschrieb Peter ohne Umstände.
Der Kammerherr, der ihm die Schrift überbracht hatte, nöthigte ihn, in einen
Wagen zu steigen, und führte ihn nach Peterhof, wo Katharina war. Als
er durch die hier stehenden Regimenter fuhr, brüllten die Soldaten: „Hoch
lebe Katharina!" und als er am Schlosse ausstieg, rief man ihm barsch zu:
„Entkleide dich!" Er gehorchte, riß seinen Ordensstern ab, zog den Rock aus,
gab den Degen weg, und nun, entkleidet dem Gespötte der Soldaten preis-
gegeben, die noch zwei Tage vorher vor ihm gezittert hatten, stellte er ein
recht bedauernswürdiges Bild der Nichtigkeit menschlicher Größe dar. Jetzt
wurde er nach einem 6 Stunden von Petersburg entfernten Hause als Ge-
fangener abgeführt, und wäre dort vielleicht viele Jahre geblieben, hätten sich
nicht unter den Soldaten, die zum Theil die rasche That zu bereuen ansingen,
Bewegungen gezeigt. Katharina willigte endlich in den Rath ihrer Freunde
ein, ihn aus der Welt zu schaffen. Alexei Orlow, ein Bruder des Gre-
gorei Orlow, Günstlings der Kaiserin, bisher ein gemeiner Edelmann, aber
durch die Gunst Katharinens zum Grafen erhoben, übernahm das Bubenstück.
Er begab sich mit einem andern verworfenen Menschen, Namens Teplow, zu
Peter ins Gefängniß, und erklärte, sie würden mit ihm speisen. Nach Ge-
wohnheit der Russen wurde vor Tische Branntwein getrunken, dem Kaiser
aber dies Mal ein vergiftetes Glas vorgesetzt. Weil sie indessen besorgten,