1859 -
Berlin
: Gaertner
- Autor: Lange, Otto
- Auflagennummer (WdK): 6
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Reich, welches der Kaiser beherrschte, wird das fränkische Reich
genannt. Es umfaßte Frankreich, einen großen Theil Italiens, Deutsch-
lands und Spaniens. Seine Grenzen waren der Ebro, die Tiber,
Raab, Elbe und Eider. Karl verwaltete dasselbe mit seltener Thätig-
keit und Weisheit. Während er zu Aachen, Ingelheim und Nimwe-
gen seine Residenz hatte, herrschten in den verschiedenen Ländern Her-
zoge, welche von ihm abhängig waren. Außerdem besorgte Karl seine
Regierung durch Psalzgrafen, Markgrafen, Landgrafen und Sendgrafen.
Von Allem, was im Lande vorfiel, ließ er sich jährlich aus vier Ver-
sammlungen in den Provinzen und auf zwei großen Reichsversamm-
lungen Nachricht geben und verordnete dann, was er für's Zweckmä-
ßigste hielt. Auch die Kriegseinrichtungen Karls, besonders das Auf-
gebot des Heerbanns, sowie seine Verordnungen über den Landbau,
und die genaue Berechnung über die Verwaltung der Güter, zeugen
von vieler Umsicht. Städte und Dörfer wurden angelegt, Sümpfe
ausgetrocknet, und es wurde der Versuch gemacht, den Rhein mit der
Donau durch einen Kanal zu verbinden. Besonders schön richtete
Karl seine Residenzstadt Aachen ein.
Bei so ausgezeichnetem Herrschertalente, wie es Karl besaß, ist es
kein Wunder, wenn das fränkische Reich in der höchsten Blüthe stand.
Aber Karl hatte auch noch andere Eigenschaften, die ihn als Men-
schen sehr hoch stellen. Mit einer mäßigen Lebensart verband er
die größte Sparsamkeit. Seine Kleider waren einfach. Seinen schö-
nen, starken Körper suchte er durch Reiten und Jagen abzuhärten;
alle Stunden des Tages waren für bestimmte Geschäfte eingetheilt.
Noch in seinem Alter lernte Karl schreiben, berief gelehrte Männer,
wie Alcuin aus Uork, in sein Reich und beschäftigte sich gern mit
Wissenschaft und Künsten. Auch legte er Schulen an und hielt die
religiösen Uebungen sehr hoch. Einst besuchte er eine Schule, in
welcher er die Söhne der Vornehmen träger als die armen Kinder
fand. Da sagte er zu den letztem: „Ich freue mich, meine lieben
Kinder, daß ihr so gut einschlagt, bleibt dabei; zu seiner Zeit soll
euch mein Lohn nicht fehlen. Ihr aber" — und dabei wandte er
sich zu den vornehmen Kindern — „ihr feinen Burschen, die ihr
euch so vornehm dünkt, ihr faulen, unnützen Buben, ich sage euch,
euer Adel und eure hübschen Gesichter gelten nichts bei mir und
ihr habt nichts Gutes zu hoffen, wenn ihr eure Faulheit nicht durch
eifrigen Fleiß wieder gut machet!" Ein anderes Mal machte der ge-
lehrte Alcuin den Kaiser mit den Schriften der berühmten Kirchen-
väter Hieronymus und Augustinus bekannt, und der Kaiser sagte:
"O, wenn ich doch zwölf solche Männer in meinem Reiche hätte!"