1861 -
Oldenburg
: Stalling
- Autor: Stacke, Ludwig
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Römische Antike
- Inhalt: Zeit: Antike
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auf den andern Tag wieder, um über die Absetzung des Octa-
vius zu entscheiden.
Am andern Tage wiederholte Octavius abermals seine
Einsprache. Da ließ Tiberius über seine Absetzung stimmen.
Als fast der größte Theil des Volkes sich gegen Octavius aus-
gesprochen hatte und seine Absetzung beinahe gewiß war, trat
Tiberius vor aller Augen auf Octavius zu, umarmte ihn und
bat ihn flehentlich, er möge nachgcben. Octavius weinte und
war einige Augenblicke unschlüssig. Als er aber feine Augen
auf die nahe Schaar der Optimatcn warf, da befiel ihn
Schaam, und er hieß den Gracchus thun, was er wolle.
Darauf ward Octavius seines Amtes entsetzt, und kaum ent-
ging er den Händen des erbitterten Volkes. Der Vorschlag
des Tiberius ward nun genehmigt, und drei Männer zu seiner
Ausführung gewählt: er selbst, sein Bruder Casus, und sein
Schwiegervater Appius Claudius.
Es war bereits um die Mitte des Sommers, und es
nahte die Zeit, wo die neuen Volkstribunen gewählt wurden.
Die Reichen dachten den Tiberius zu stürzen, wenn er seine
Würde niedergelegt hätte, und machten vorher alle seine Schritte
gehässig. Und in der That war die Absetzung des,Octavius
beispiellos und gesetzwidrig, und befremdete sogar Manchen aus
dem Volke. Um sich in der Gunst des Volkes zu erhalten,
machte er den Vorschlag, daß die Schätze des Königs Attalus
von Pergamus, der das römische Volk zum Erben seines Rei-
ches eingesetzt hatte, unter das Volk vertheilt werden, und daß
dieses über das Reich verfügen sollte. Durch diesen Vorschlag
verletzte er den Senat auf das tiefste, und schon wurde ihni
nachgesagt, daß er nach der königlichen Würde strebe, und ein
Mann aus Pergamus ihm bereits Diadem und Purpurmantel
überbracht habe.
Unter solchen Umständen bewarb sich Tiberius um das
zweite Tribunat. Die Wahl siel in die Erntezeit, wo nur der
besitzlose städtische Pöbel in Rom anwesend, die Landbewohner
aber auf dem Felde beschäftigt waren. An dem Wahltage kam
cs zu Streitigkeiten, und Tibcrim verlegte die Versammlung