1868 -
Oldenburg
: Stalling
- Autor: Stacke, Ludwig
- Auflagennummer (WdK): 7
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Griechische Antike
- Inhalt: Zeit: Antike
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sich mit Minos auszusöhnen: dann würden ihre Leiden ein
Ende nehmen. Doch der Sieger legte den Athenern eine harte
Bedingung auf. Sie mußten neun Jahre lang jährlich
sieben Jünglinge und sieben Jungfrauen nach Kreta schicken.
Auf dieser Insel hatte aber Minos das Labyrinth, ein un-
geheueres Gebäude, errichten lassen, aus dessen mannigfach ver-
schlungenen Jrrgängen Niemand den Ausweg finden konnte.
In diesem Labyrinthe trieb der Minotaurus sein Wesen,
ein Ungeheuer, halb Mann, halb Stier, das eine gewaltige
Keule schwang. Wenn nun die zum Tode bestimmten Jünglinge
und Jungfrauen in Kreta ankamen, wurden sie nach einander
unbewaffnet in das Labyrinth geführt, und da sie den Rückweg
nicht auffinden konnten, fielen sie als ein Opfer des Minotaurus.
Als Theseus in Athen angelangt war, sollte gerade dieses
Opfer zum dritten Male nach Kreta abgehen, doch Theseus be-
schloß, seine Vaterstadt von diesem schmählichen Tribute zu be-
freien. Ohne durch das Loos gewählt zu sein, gesellte er sich
zu der Zahl der Jünglinge, die dem Opfertode geweiht waren.
Seinen Vater Aegeus, der nur ungern in die Abreise des Thc-
seus, der ja erst eben sein Sohn geworden war, willigte, tröstete
und beruhigte er durch die Hoffnung, daß er den Minotaurus
besiegen werde, und versprach ihm, im günstigen Falle bei
der Rückkehr statt der gewöhnlichen schwarzen Segel weiße auf-
zuziehen.
Als bei der Ankunft in Kreta die Opfer dem König Minos
vorgestellt wurden, gewann Ariadne, des Königs Tochter, den
heldenmüthigen Theseus lieb. Sie gab ihm heimlich einen
Knäuel Garn und zeigte ihm, wie er sich mit Hülfe des Gar-
nes, das er am Eingänge des Labyrinthes befestigen und beim
Weitergehen abwickeln sollte, aus den Windungen des Gebäudes
wieder herausfinden könnte. Theseus erlegte den Stier, und
Minos erließ den Athenern den jährlichen Tribut. Der Sieger
segelte von Kreta nach der Heimath und nahm des Königs Toch-
ter Ariadne als Gemahlin mit, die er jedoch bald auf der Insel
Naxos wieder verlor.
Als sich das Schiff der attischen Küste nahte, vergaßen so-
wohl Theseus als der Steuermann das weiße Segel aufzuziehen,
das dem Aegeus die Rettung des Sohnes anzeigen sollte. Der
Vater saß indessen auf einem Vorgebirge am Gestade des Meeres