1857 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Bumüller, Johannes
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
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Perser und Griechen. Europas Sieg über Asien.
den. So konnten seine treuen Schüler noch einige Tage länger um ihn sein;
einer derselben, der reiche Kriton, hatte den Kerkermeister bestochen, Sokra-
tes konnte entfliehen, wollte aber nicht, und verwies es seinem Freunde,
daß er ihn zum Ungehorsam gegen die Gesetze der Stadt verleiten wollte;
er habe die Wohlthaten der Gesetze lange genossen, und wenn ihm nun
Unrecht geschehe, so entspringe daraus kein Recht für ihn, die Gesetze
zu brechen. Sokrates wünschte zu sterben; er wollte durch das Thor
des Todes in den Tempel der Wahrheit eingehen; denn all sein Denken
und Forschen hatte ihn nur zu dem Geständnisse gebracht: „Ich weiß,
daß ich nichts weiß." An seinem Todestage sprach er mit seinen Schülern
über die Unsterblichkeit der Seele und von seiner Hoffnung, im Jenseits
ein schöneres und helleres Leben zu beginnen, von dem das jetzige nur
ein Widerschein sei; er tröstete die Weinenden, und als mit dem Unter-
gang der Sonne der Augenblick da war, wo ihm der Giftbecher gereicht
wurde, trank er ihn mit unerschüttertem Gemüthe. Dann ging er einige
Augenblicke auf und ab, wie ihm der Gefangenwärter gerathen hatte, bis
er Müdigkeit in den Beinen fühlte, legte sich nieder, verhüllte sein An-
gesicht und starb (399). — Bald bereuten die Athener ihre Ungerech-
tigkeit und ihren Mißgriff, setzten dem Sokrates Ehrensäulen und be-
straften seine Ankläger.
Von den Schülern des Sokrates hat der edle Xenophon, jener An-
führer beim Rückzüge der Zehntausend, die Worte und Lehren seines
Meisters am treuesten wiedergegeben, in ihm lernen wir den eigentlichen
Sokrates am besten kennen. Andere Schüler des Sokrates gingen eigene
Wege; z. B. Aristipp aus Kprene, welcher einen verständigen Lebensgenuß
für Weisheit erklärte, der Stifter der kprenäischen Schule, die später
in Epikur ihre volle Ausbildung fand; Antisthenes, der Verachtung aller
Vergnügen lehrte und denjenigen Menschen als den glücklichsten hinstellte,
welcher am wenigsten bedürfe und dem die Tugend allein genüge. Seine
Schüler hießen die Kyniker (von dem Platze Kynosarges, wo Antisthenes
lehrte, so genannt), von denen Diogenes am berühmtesten wurde.
Der ausgezeichnetste Schüler des Sokrates aber bleibt Platon,
dessen Schule von der Akademie, wo er lehrte, die akademische hieß.
Er lehrte die Abkunft des menschlichen Geistes von der Gottheit, daher
sehnt sich derselbe nach der Gottheit zurück in die Welt der Zdeen.
Diese sind unveränderlich und ewig, und alles Irdische hat nur insofern
Wahrheit, als es Antheil an einer Idee hat. Die höchste Zdee ist die
Gottheit selbst, die Ursache von allem, was da ist und wird. Diese kann
der Mensch nicht erfassen, nur die Ideen der Wahrheit, Schönheit und
Tugend, die Ausflüsse der höchsten Idee, gestatten dem Menschen Zu-
gang, und nach ihnen soll er während seines ganzen Lebens streben,
damit er nach dem Tode in die höhere Welt der Zdeen gelange, wo er