1861 -
Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Weber, Georg, Schröer, Tobias Gottfried
- Auflagennummer (WdK): 5
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Töchterschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Töchterschule
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Mädchen
85
schuldiges Blut vergossen ward? Um Theil zu nehmen am Leibe Christi,
warte, bis Du in einer solchen Verfassung bist, daß Deine Hostie Gott
angenehm ist. Bis dahin begnüge Dich mit dem Opfer Deiner Thränen und
Gebete." Theodosins erkannte sein Unrecht und begab sich nach Mailand, um
bei dem frommen Bischöfe Buße zu thnn, Als er sich mit seinem Gefolge
der Domkirche näherte, trat ihm Ambrosius im bischöflichen Schmucke und
von der Klerisei begleitet an der Thüre entgegen und verwehrte ihm den
Eingang mit den Worten: „Dein Zorn hat sich wohl gelegt, aber Deine
Macht und Dein Stolz als Kaiser verdunkelt noch Deine Vernunft, darum
mußt Du erst durch Fasten und Beten Dein Gemnth und Deine Seele
reinigen, ehe Du dieses heilige Hans betrittst." Der Kaiser fügte sich
und trat zurück; erst nach einigen Monaten erhielt er die Erlaubniß, seine
Schuld öffentlich in der Kirche zu bekennen und am Mahle des Herrn
Theil zu nehmen.
Theodosins war einer der vorzüglichsten Regenten, deren Thaten die
Geschichte ausbewahrt hat. Er wäre ein vollkommener gewesen, wenn
nicht ein natürlicher Hang zur Weichlichkeit und zum Jähzorn, die er sein
ganzes Leben lang aus allen Kräften in sich zu bekämpfen suchte, zuweilen
den edlen und schönen Eigenschaften seines Geistes und Herzens Eintrag
gethan hätten. Theodosins ward im dreiunddreißigsten Jahre seines Alters
mit dem Purpur bekleidet. Das Volk schaute mit Bewunderung die
männliche Schönheit seines Angesichtes und die anmuthige Majestät seiner
Gestalt. Die Weisheit seiner Gesetze und der Erfolg seiner Waffen ver-
schafften seiner Regierung Achtung bei seinen Unterihanen wie bei seinen
Feinden. Er liebte und übte die Tugenden des häuslichen Lebens; der
sto/ze Titel der kaiserlichen Größe war durch die thenern Namen eines
treuen Gatten und liebevollen Vaters gehoben. Theodosins war dankbar
für empfangene Freundschaft, voll Leutseligkeit und Milde und, eine seltene
Tugend an einem großen Herrscher, stets bereit, seine Fehler einzusehen
und zu verbessern.
Mit ihm, dem letzten der Nachfolger des Angustus und Constantins,
die an der Spitze ihrer Heere erschienen und deren Herrschaft in dem
ganzen Reiche anerkannt wurde, schied der Genius Roms für immer.
Nach seinem Tode theilten seine beiden Söhne Arcad ins und Hono-
rius das Reich, so daß Ersterer das morgenländische oder griechische
Reich mit der Hauptstadt Konstantinopel, der Andere das abendlän-
dische oder lateinische Kaiserthum erhielt. Dem siebzehnjährigen Arcadius
stand der ehrsüchtige und gewissenlose Gallier Rnsinus, dem elfjährigen
Honorius der staatskluge und kriegsgewandte Stilicho, ein Deutscher,
als Rath und Reichsverweser zur Seite. Die unseligen Zwistigkeiten,
welche den völligen Sturz des abendländischen Reiches herbeiführten, be-
gannen durch den Verrath des Rnsinus, der, voll Neid und Eifersucht
gegen Stilicho, die Westgotheu, welche in Thracien und Mösien dem Hofe
von Konstantinopel schon lästig und gefährlich zu sein anfingen, zu einem