1861 -
Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Weber, Georg, Schröer, Tobias Gottfried
- Auflagennummer (WdK): 5
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Töchterschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Töchterschule
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Mädchen
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große Zerrüttung; geistliche und weltliche Große maßten sich Besitzungen
und Rechte an, die Könige verloren Macht und Ansehen, die Staaten
lösten sich in viele einzelne Gebiete auf; Verwirrung, Befehdungen unv
Bedrückungen walteten überall.
Daß ein so günstiger Moment von der Herrschbegierde der römisch-
päpstlichen Gewalt nicht ungenützt gelassen wurde, liegt in der Natur der
Sache. Bereits war den Päpsten eine weltliche Macht zuerkannt; der
Gedanke, das Abendland unter der geistlichen Herrschaft des Nachfolgers
Petri zu vereinigen, lag nicht ferne. Papst Gregor Iv. hatte in dem
Streit zwischen Ludwig und seinen Söhnen Partei gegen den Ersteren
genommen; Leo Iv. war selbstständiger Kriegsherr, indem er sich mit
Glück gegen die andringenden Araber vertheidigte. Zugleich war er es,
der zum erstenmal laut auszusprechen wagte, daß es gegen die Beschlüsse
des Papstes keine Berufung gäbe. Nikolaus I. sprach das Verdammungs-
urtheil über den sittenlosen Lothar Ii. aus und im Jahr 875 konnte
Johann Viii. Karl dem Kahlen die Kaiserkrone ertheilen, unter der Be-
dingung, daß er ihm Beistand leiste gegen die stets wiederkehrenden Ein-
fälle der Araber.
So hatte der mächtige Kampf zwischen geistlicher und weltlicher Macht,
der den vorherrschenden Inhalt der mittelalterlichen Geschichte bildet, be-
reits begonnen. Die feindlichen Gewalten wurden entfesselt, so wie Karl's
des Großen starke Hand sie nicht mehr im Banne hielt. Die Achtung,
welche den Nachkommen Karl's gezollt ward, zeigt sich schon in den ihnen
zugelegten Beinamen „der Kahle, der Dicke, der Einfältige," die sie als
unsterbliches Erbtheil durch die Geschichte der Menschheit tragen müssen.
Der Zustand der europäischen Länder bot zu dieser Zeit ein trauriges
Bild. Nach allen Weltgegenden schienen die Grenzdämme des alten Reiches
gewichen. Italien ward von den Sarazenen heimgesucht, die in ihren
leichten Schiffen auf der Tiber heranschwammen und Rom bedrohten; Ost-
deutschland stand in Gefahr vor den slavischen Völkerschaften der Wenden,
Sorben, Mähren. Von Skandinavien aber und den Ostseeinseln drang
der hartnäckigste Feind, die Normannen, im Norden Deutschlands und
Frankreichs ein und durchzog raubend und plündernd die Küstenländer der
Nordsee. Hamburg, Trier, Köln, Bonn, gingen in Flammen aus, Paris
zitterte vor den kühnen, wilden Horden. Schon hatte Karl der Kahle den
Frieden um 4000 Pfund Silbers erkauft. Die Absetzung Karl's des Dicken
erfolgte auf dem Reichstage zu Tribur, nachdem er sich und das Reich durch
einen doppelten schimpflichen Tribut an die Normannen erniedrigt hatte.
So von äußern Feinden bedrängt, von inneren Parteiungen zerrissen,
sank das Karolingische Reich, das nur ein Jahrhundert Bestand hatte und
doch in seiner kurzen Dauer den Grund legte zu dem späteren Bau des
deutschen Reiches, welches alsbald an seine Stelle treten sollte.