1861 -
Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Weber, Georg, Schröer, Tobias Gottfried
- Auflagennummer (WdK): 5
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Töchterschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Töchterschule
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Mädchen
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wie Gäste und Freunde. Von den Bewohnern Jerusalems verlangte er
ein mäßiges Lösegeld; Niemanden beschädigte er an Gut und Leben. Zur
Herbeischaffung des Lösegeldes gab er 40 Tage Frist; da Viele auch dann
noch nicht zahlen konnten, ließ er sie frei von dannen ziehen und alle ihre
bewegliche Habe mit sich fuhren. Bis zum Ablauf der Zahlungsfrist blieb
das türkische Heer außerhalb der Thore. Die Straßen der Stadt wurden
bewacht, nicht die geringste Gewalttätigkeit fiel während dieser Zeit vor.
Endlich zogen die auswandernden Christen durch das Thor David's an
Saladin vorüber; zuerst die Königin, der Patriarch, dann die Ritter, zu-
letzt das Volk. Da flehten die Weiber und Kinder der in der Schlacht
Gefangenen um Gnade. Saladin, bis zu Thräneu gerührt, schenkte allen
Gefangenen die Freiheit, den Wittwen und Waisen der Gefallenen aber
schenkte er Geld. Von 220,000 Goldstücken hatte Saladin nach dem Ab-
zug der Christen aus Jerusalem nichts mehr übrig. Es war Alles ver-
schenkt. „War er auch kein Christ, so hat er doch gefühlt und gehandelt
als Christ, christlicher als mancher äußerliche Bekenner des Evangeliums!"
Dies Zeuguiß ist dem Saladin im Munde der Geschichtsschreiber ein-
stimmig geblieben.
Auf die Kunde, daß Jerusalem in die Hände der Muselmänner zu-
rückgefallen sei, durchdrang ein Schrei des Entsetzens das christliche Abend-
land. Der Papst rief von Neuem die Christen auf, nach Palästina zu
ziehen, und das heilige Grab wieder zu erobern. „Ihr hörtet," heißt es
in dem päpstlichen Schreiben, „welch schreckliches Gericht des Herrn über
Jerusalem erging; ein Gericht, welches uns so betäubt, so in den tiefsten
Schmerz versenkt, daß wir kaum wissen, was zu sagen, was zu thun sei,
und mit dem Propheten ausrufen möchten: Ach, daß meine Augen Thränen-
quellen wären, daß ich Tag und Nacht beweinen könnte die Erschlagenen
in meinem Volke! Aber nicht nur die Bewohner jenes Landes sündigten,
sondern auch wir. Zwischen Königen, Städten und Fürsten ist Aergerniß
und Streit; es ist, wie die Schrift sagt, keine Treue, keine Liebe, kein
Wort Gottes im Laude, sondern Gotteslästern, Lügen, Stehlen hat über-
hand genommen und es kommt eine Blutschuld über die andere. Darum
wendet eure Herzen und gebt, der Vergänglichkeit alles Irdischen eingedenk,
eure Güter dem Herrn; ja gebt ihm euch selbst. Nehmt den Augenblick
der Gnade wahr, errettet das Land, in dem der Brunnenquell des Glau-
bens entsprang, und vergeßt, nun der Himmel zu gewinnen ist, alle irdi-
schen Zwecke."
Auch an den Kaiser Friedrich erging die Aufforderung des Papstes,
und in seinem siebenzigsten Jahre krönte er sein ruhmvolles Leben durch
eine letzte glänzende That. Als er sich, so wird erzählt, nach seiner Ge-
wohnheit, bald nach der unglücklichen Schlacht bei Legnano, vorlesen ließ,
und zwar aus dem Leben Alexander des Großen, da sprach er: „Glück-
seliger Alexander, der du Italien nicht sähest! glücklicher wäre auch ich,
wenn ich nach Asien gezogen wäre."