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1. Geschichte des Mittelalters - S. 306

1861 - Leipzig : Brandstetter
306 unter sich nur wenig verschieden *), der Verbreitung von Land zu Land freie Bahn eröffneten. Wir gehen zurück auf die Volkspoesie, die sich nicht entwickelt aus dem dichterischen Vermögen einzelner hervorstrahlender Talente, sondern aus dem lebendig poetischen Quell, welcher im Herzen eines ganzen Volkes entspringt und ihm als köstlichste Naturgabe verliehen ist, unbewußt, aus innerer Noth- wendigkeit schaffend und bildend, gleich wie im Munde des Volkes die Muttersprache sich entwickelt. Die Kunstpoesie ist die Frucht der Arbeit Einzelner, welche die Erscheinungen des Lebens nach ihrer individuellen Geistes- und Anschauungsweise aufnehmen und, zum Kunstideal erhoben, in verklärter Gestalt wiedergeben. Ihre Darstellung ist nicht das Leben selbst, sondern ein durch die Kunst erzeugtes und veredeltes Bild des Lebens. Zu einer vollständigen Entfaltung des poetischen Vermögens einer Nation gehört die eine wie die andere Seite, so wie Beides in der deutschen Dichtung die vollste Blüthe erreicht hat. In Sagen und Liedern, die durch fahrende Sänger von Burg zu Burg, von Stadt zu Stadt, von Land zu Land getragen wurden, ent- wickelte sich der Reichthum des poetischen Stoffes im Volksleben, dessen sich die Dichter später in ihren künstlerischen Werken bedienten. So ist das Volksepos der Deutschen entstanden, in welchem Alles zusammeufließt, was Jahrhunderte laug das Leben der Nation bewegte und durchströmte; Geschichte und Sage ist lebendig geworden in dem Gedicht. Die geheim- uißvolle Werkstätte dieser allmählichen Entstehung dem wißbegierigen Auge der Neuzeit zu eröffnen ist erst theilweise gelungen; doch immerhin genügend, um von dem, was errungen ist, zu schließen auf das, was noch im Dunkeln liegt. Das größte und vollendetste Epos unserer Volkspoesie ist das schon früher erwähnte Nibelungenlied. In ihm vereinigen sich die Sagen- kreise aller deutschen Stämme: der niederrheinische, dessen Held Siegfried ist; der burgundische, mit seinen Helden Günther, Gernot und Giselher, mir Frau Ute der Königin, Kriemhild und Brunhild, und den tapfern Mannen der Könige, unter ihnen Hagen und Volker. Der dritte Sagenkreis ist der ostgothische von Dietrich von Bern und Hildebrand; des vierten Mittelpunkt ist Attila, der Hunnenkönig, und der Schauplatz die Etzelburg im heutigen Ungarn. Gewissenhaftes Studium hat aus dem mächtigen Gedichte bereits zwanzig alte Volkslieder herausgefunden und abgelöst, die sich von der Arbeit des unbekannten Dichters, welcher die letzte Hand an die Anordnung und Verschmelzung desselben legte, bedeutend unterscheiden. Es ward der handschriftliche Schatz gefunden auf der Burg Ems in Graubündten in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Damals *) Die romanischen Sprachen waren, wie bekannt, in Frankreich, Italien und Spanien heimisch.
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