1798 -
München
: Lindauer
- Autor: Westenrieder, Lorenz
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch, Lehrbuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
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sohin ein freyer Mann war, der war adclich. Aber
freylich auch bey ganz gleichbürtigen Menschen ist
von dem Augenblick an, wo ihrer mehrere zusgmmen-
kvmmen, stets schon auch ein Unterschied der Men-
schen. Es sind, in Rücksicht auf mehr oder weniger
Geiftesgaben, Güter und Vermögen, gleichsam von
der Natur vvrgezeichnete Stuffcn und Stände« Wel-
cher freye Mann zu einem grbßern Eigenthum gelangt
war, zahlreichere Hcerden, mehrere Knechte hatte,
der wurde zwar nicht edler und freyer, aber großer
und mächtiger. Einige dieser Geschlechter hatten sich
durch die Vorzüge ihrer Reiobthümer nach und nach in
ein solches Ansehen gesetzt, daß sie vorzugsweise von
den minder Begüterten die Vornehmen des Landes
(?r'mcipes terrae) genannt.wurden. Von solchen
Vornehmen waren z. B. in Baiern sechs Geschlechter
in den Gesetzen dieser Nation besonders geehrt.
Wenn diese unzähligen Freyen angriffs? oder ver-
theidigungsweise Kriege führen, wenn sie in einem
eroberten Land sich niedcrlassen, und dasselbe bebauen
wollten: so ergab sich in beyden Fällen die unver-
meidliche Nothwendigkeit, daß sie sich zu Einem ge-
meinschaftlichen Verstandniße vereinigen, gewisse Ver-
träge oder Gesetze unter sich errichten, und ein Ober-
haupt wählen mußten, welches einen jeden, der diesen
Gesetzen nicht Nachkommen, und doch in der Gesellschaft
leben wollte, zwingen sollte, die Gesetze zu achten.
So geschah es dann , daß die Freyen einer jeden Na-
tion sich frühzeitig ein Oberhaupt oder Regierer (Rex,
König, Dux, Herzog ) erwählet, und, was noch
wehr war, daß sie gewöhnlich diesem Geschlecht des
Regierers seine Würde erblich, doch so, daß nicht noth-
wendig der Sohn dem Vater, sondern stets der wür-
digste folgen sollte, zuerkannt haben.
Der Regierer hatte die Obliegenheit, von Zeit
zu Zeit in den verschiednen Bezirken oder Gauen eines
Landes herum zu reisen, und die Streitigkeiten, welche
unter den Freyen vvrsi'elen, zu schlichten. Oft hielt
er