1836 -
Stuttgart
: Belser
- Autor: Bauer, Ludwig Amandus
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
Aelme des griechischen Lebens.
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wie sie in dichterischer Ueberlieferung geschildert wurde,
durch Bildnisse von Stein und Erz festzuhalten: der Mei-
ster lieferte nicht etwa nur eine entbehrliche Zierrath,
sondern einen Abdruck dessen, was der Gottheit wesentlich
war, und indem er die mühelose Kraft, die lächelnde Ma-
jestät der Himmlischen darstellte, schwang er sich selbst zu
dem Erhabensten hinauf, dessen die Seele eines Griechen
fähig war. Hiebei mußte jeder störende Auswuchs, jede
Uebertreibung vermieden, und überall Maß und Der-
hältniß aufs sorgfältigste beobachtet werden. Solche Acht-
samkeit auf Größenverhältnisse bahnte den Weg zu mathe-
matischer Auffassung, übte die Beobachtungsgabe, klärte
und schärfte sie Begriffe; und indem so die Religion mit
der Kunst verschwistert und die Einbildungskraft durch
den Verstand gezügelt wurde, mußten Werke entstehen,
denen das Morgenland in keiner Hinsicht etwas an die
Seite setzen kann. Mancherlei Umstände haben günstig
hiezu mitgewirkt. Eine Priesterkaste scheint bei den Grie-
chen nie vorhanden gewesen zu seyn, und während der
historischen Zeit erscheinen die Priesterthümer durchweg als
Anstalten, die dem Staate untergeordnet, oder jedenfalls
einverlcibt sind. Erbliche Würden gab es allerdings, wie
zu Athen die des eleusinischen Hierophanten in der Fa-
milie der Eumvlpiden, zu Thebä und Sparta die des
karne'ischen Apollvpricsters in der Familie der Aegiden,
zu Didyma bei Milet die des apollinischen Orakelvvrste-
hers in der Familie der Branchiden, in Epidaurus
und Kos tdie der Asklepiadeu; groß aber war die
Zahl solcher Familien nicht, und politische Macht war mit
ihren Aemtern keineswegs verbunden. Nirgends also stand
der Künstler im Banne von Dogmen, sondern lediglich
folgte er den Fußstapfen der Sage, und zwar mit Ver-
trauen und Vorliebe, weil diese Sage nichts Andres als
Naturpocsie war. Am besten gedeiht die Kunst in einem