1. Bd. 2
- S. 46
1838 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Rotteck, Karl von
- Auflagennummer (WdK): 13
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
46 Zweites Kapitel. Geschichte der Griechen.
von Athen über weit geringeres Unrecht, und erltärtcn den Krieg, als
ihr Urtheil verworfen ward (3553. 430 v. Ehr.).
Fast alle griechische Staaten ergriffen Partei, die meisten für
Sparta. Der ganze Peloponnes war ans dessen Seite — Argos und
einen Theil Achaja's ausgenommen; — im festen Griechenland
aber hieltens die Megarenser, Lokrer, Phocier, die meisten Böotier und
ein Theil der Acarnanier mit ihm. Sechzig tausend Peloponnesier
überschwemmten schon im ersten Feldzüge das attische Gebiet. Da-
gegen waren Platäa, dann Chios, Lesbos, Eorcyra, Zacynthns mit
Athen verbündet. Viele andere Inseln, wie Euböa, Samos, fast
alle Cykladen und Sporaden gehorchten demselben, und das große
Gebiet von Attika selbst nebst den vielen eigenen Kolonien und tribu-
tairen Provinzen weithin in Ionien, am Hellespont, in Thracien und
Maccdonien boten ihm reiche Hilfsquellen dar. Mit Recht konnte also
Perillos den Muth seiner Bürger durch die Aufzahlung ihrer Strcit-
kräfte erhöhen. Eine Armee von 30,000 geübten Kriegern und eine
Flotte von 300 Galeeren war zum Kampfe bereit. 9600 Talente
lagen im Schaze, und es erhielt derselbe ans einheimischen Quellen
und durch reiche Beitrage der Bundesgenossen einen immerwährenden
Zufluß.
Die ersten Kriegssahrc wurden ans eine ziemlich gleichförmige Weise
mit Verwüstungen Attika's durch die Peloponnesier und mit gegenseiti-
ger Verheerung der lakonischen und anderer feindseliger Küsten durch
athenische Flotten hingebracht. Perikles, nach einem weisen Plane,
vermied eine entscheidende Schlacht, und baute seine Hoffnung auf die
Flotte und die auswärtigen Hilfsquellen. So wiirde er wahrscheinlich
den Feind ermüdet, und die volle Streitkraft Athens erhalten haben,
wenn nicht eine fürchterliche Pest in dieser unglücklichen Stadt ge-
wüthet hätte. Eine zahllose Schaar von Flüchtlingen aus ganz Attika
war dahin zusammcngeströmt, die Contagión wurde schrecklich verviel-
fältigt und die Blüthe der Bevölkerung durch einen qualvollen Tod
dahin gerafft. Niemand wird ebne Schauder die Schilderung lesen,
die uns von dieser Pest Thucydides, der sie selber erfuhr, hinter-
lassen hat.
Die Athener, im schmerzlichen Gefühle dieser Noth, klagten Perik-
les als deren Urheber an. Er vcrtheidigtc sich mit aller Kraft eindring-
licher Beredsamkeit, und vermochte doch nicht die aufgeregten Gemüthcr
zu besänftigen. Der lang verehrte Volksführer wurde seiner Würden
entsezt und zu einer Geldstrafe verurthcilt. Zu diesem unverdienten Miß-
geschicke gesellte sich häuslicher Kummer. Außer mehreren Verwandten
entriß ihm die Pest zwei Söhne, worunter einer sein Liebling. Als er die