1. Bd. 2
- S. 179
1838 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Rotteck, Karl von
- Auflagennummer (WdK): 13
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
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Viertes Kap. Römische Gescbichte.
ihrer meisten Schrecken, wie mir zu bald der Kampf zwischen Ma-
rius und Sulla bewies.
L. Cornelius Sulla ist eine der imponirendsten Gestalten in
der ganzen Geschichte. Solche Charaktere konnte freilich nur ein
Rom, die Pflegemutter jeder Kraft im Guten, wie im Bösen, ge-
den. Aus einem vornehmen, aber durch Unfälle gesunkenen, Hanse
stammend, hatte Sulla durch Erziehung und Verhältnisse aristo-
kratische Gesinnungen erhalten. Hierin und in seiner Liebe für
Wissenschaft und feinere Sitte lag schon der natürlichste Grund des
Hasses gegen den rohen Marius, das Haupt der demokrati-
schen Partei, doch solch' edler Rolle nach persönlichem Cha-
rakter unwerth, weit mehr nur Mann des Pöbels, nach Grundsäzen
und Verbindungen, Herkunft und Sitte, und Feind alles Dessen,
was nicht Soldat oder Pöbel war. Aber der Haß, welchen dieser
Geg ensaz der Charaktere gegründet, entglühte noch heftiger durch
Jenes, was beiden gemein war— den unersättlichen Ehrgeiz und
die wüthcnde Herrschsucht, und wurde verderblich für Rom durch
Beider hohe Kraft, Starrsinn und Grausamkeit. Im jugurthinischen
Kriege und in jenem der Cimbrer hatte Marius Ruhm den seines
jüngeren Nebenbuhlers weit überstrahlt; doch war die Unterhandlung
mit Bocchns (s. §. 44.) und der wichtige Antheil, den Sulla am
veronesischen Siege gehabt, schon Stoff des Neides. In den nach-
folgenden Unruhen der Stadt erhöhte Sulla den Haß als kraftvoller
Vertheidiger der Aristokraten, und bei dem Bundesgenossen-Kriege
schien sein Talent und Glück den alternden Marius zu verdunkeln.
In ihm glaubte Rom den besten Feldherrn für den mithridatischen
Krieg zu finden, und ernannte ihn dazu, da er gerade als Consut
mit dem Heere vor Nola lag (3896. 87 v. Ehr.).
Darüber empfand Marius, welchen beim cimbrischen Triumphe
das Volk vergöttert und den "dritten Gründer Roms" gehei-
ßen, tödtlichen Verdruß. Im 70sten Jahre des Alters, und nach
so vielen Siegen, war er des soldatischen Ruhmes nicht satt. Ihn
gelüstete nach den politischen Lorbeeren, und so groß war sein An-
hang im Volke, daß, auf des Tribuns Snlpicins (*) Vorschlag,
dasselbe den Senatsbeschluß, der Sulla zum Feldherrn gemacht,
tumultuarisch vernichtete, und die Anführung an Marius gab.
Als Sulla dieses vernahm, führte er sein Heer feindlich nach
(') Diesen Sulpicius nennt Müller einen „sonst vortrefflichen
Mann"; — Andere erklärten ihn für einen Bösewicht. So schwer ist es,
den moralischen Werth der Revolutionsmänner oder den wahren Beweggrund
ihrer Handlungen zu beurtheilen! —
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