1. Bd. 2
- S. 185
1838 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Rotteck, Karl von
- Auflagennummer (WdK): 13
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
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Viertes Kap. Römische Geschichte.
§. oi. Sulla's Tyrannei.
Der Einzug Sulla's in Rom wurde nicht nur, wie jener des
Marius, durch grausame Gewaltthat bezeichnet, sondern auch der
heilige Stempel des Rechtes mißbraucht zur Besiegelung und Ver-
vielfältigung der Frevel. Nicht nur wen Sulla haßte, oder wen
Einer von Sulla's Leuten haßte, auch wen man beneidete, nach
wessen Vermögen Einer lüstern war, mußte sterben; Tag für Tag
wurden — eine scheußliche Erfindung Sulla's — Proscriptions-
tafeln bekannt gemacht, die langen Listen Derjenigen, derer Leben
verwirkt, derer Güter verfallen wären. Aurel ins, ein stiller Mann,
der keine Partei ergriffen, las eine solche Tafel, und fand seinen
eigenen Namen: "Ach! seufzte er, es ist mein Landgut, das mich
ächtet!" — Wer einen Geächteten erschlug, wurde mit zwei Talen-
ten belohnt. Wer Mitleid bei einer Hinrichtung bezeugte — wurde
gctödtet. Solches widerfuhr dem menschlichen M. Plätorius, weil
er bei der Marter von Marius Bruder in Ohnmacht gesunken. Soll
man es glauben? Eine einzige verdächtige Miene, ein ähnlicher
Gesichtszug, ja selbst ein ähnlich klingender Name brachten Verder-
den. Den heiligsten Naturpsiichten wurde Hohn gesprochen. Kein
Bruder durfte dem Bruder, kein Sohn dem Vater Zuflucht geben.
Weiber verschlossen ihre Thüre vor dem geächteten Manne. Noch
auf Söhne und Enkel der Proscribirteu sollte die Strafe wirken,
Keiner derselben jemals ein öffentliches Amt erlangen. Auch an
Todtcn äußerte sich die unbändige Wuth. Die Gebeine des alten
Marius wurden ausgegrabeu, mißhandelt und in den An io ge-
worfen, seine Trophäen und Statuen zertrümmert. Man sah den
abscheulichen C a t i l i n a, den Henker seines Bruders und seines Schwa-
gers, eigenhändig und auf die grausamste Weise den edlen Marius
Gratidianus morden, und dessen abgerissenes Haupt über die
Straßen zu Sulla tragen. Sulla's Hans selbst war einem Richt-
plaze ähnlich, und, was er sprach, waren Befehle des Todes. Aber
einzelne Hinrichtungen währten ihm zu lange. Acht tausend Gefan-
gene, denen er das Leben zugesichert, wurden miteinander im Circus
geschlachtet. Das Geschrei der Mörder, das Aechzen der Sterben-
den drang in den Saal, wo eben der Senat berathschlagte. Die
Senatoren erblaßten. "Es sind nur einige Elende, denen auf mein
Befehl ihr Recht widerfährt", sprach Sulla mit teuflischer Ruhe,
und fuhr in den Verhandlungen fort.
Auch außer Rom, durch ganz Italien erstreckten sich die Achts-
erklärungen, die Mordthaten, die Plünderungen. Alle Einwohner
von Präneste wurden getödtet, jene von Spoleto, Fluentia,