1. Bd. 2
- S. 228
1838 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Rotteck, Karl von
- Auflagennummer (WdK): 13
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
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Erstes Kap. Bürgerlicher Zustand.
tur konnte nicht anders, als einseitig werden, einzig bestimmt
durch den Ton der herrschenden Stadt, welchem Latium, Italien und
endlich eine Wett besiegter Länder gehorchten.
2) Rom war eine Stadt des Krieges. Auf diesen war die
Größe, ja baö Daseyn derselben gebaut; alle Gcseze, alle Staats-
eim ichtungen, auch die Sitten und Gebräuche gingen auf militäri-
sche Größe, der Gipfel des Ruhms war der Triumph. Die Künste
des Friedens mögen aber nicht gedeihen unter dem Geräusche der Waf-
fen, und es flieht ans Feldlagern die schönere Gesittung.
3) Auch schien dieselbe den Häuptern des Staates kaum der Pflege
werth, sogar gefährlich. Wie sehr hat nicht der ältere Cato noch
gegen griechische Künste geeifert!— Also nichts von Anstalten zur
Beförderung der Kultur, von Benüzung und Erhöhung eines thätigen
Wetteifers, von öffentlichen Spielen im Sinne der griechischen
Spiele (s. unten Kap. Iii.): Tapferkeit, politische Tugend und
Römerstolz — weiter brauchte man nichts.
4) Selbst die Religion der Römer (Kap.ii.) diente einzig und
allein dem Staate. Man mag allerdings im Gegensaze der griechi-
schen poetischen Religion, jene der Römer eine kalt prosaische
nennen. Nicht Dichter, nicht einmal Priester, Staatsmänner
hatten sie entworfen, sie in Glanbenssäzen und Gebräuchen systema-
tisch geordnet, und durchaus zur politischen Maschine gemacht. Daher
ließ sie das Herz kalt, gab der Imagination keine Flügel und keine
Begeisterung der Kunst.
5) Weiter geschah in Rom durch die Macht der Umstände derueber-
gang von der Rohheit zur Verfeinerung allzuschnell, und zwar
gerade in der Zeit, als durch den reissenden Lauf der Eroberungen
ungeheuere Schäze und mit ihnen alle Leidenschaften und Laster in die
vom Glücke berauschte Stadt zogen. An die Stelle der alten Simpli-
cität kam jezt urplözlich, nicht etwa der feinere attische Lebensgenuß,
sondern asiatische Schwelgerei; nicht das Edle, Erhebende der
Kunst, sondern das Lururiöse derselben wurde gesucht; es trat
die Civilisation im Geleite der Corruption, ja der tiefsten Verworfen-
heit ein. Auch die Griechen waren in Verderbniß gesunken; aber erst,
nachdem sie eine schöne Kulturperiode verlebt hatten; und es blieben
die Spuren und Wirkungen derselben noch in den spätesten Zeiten
zurück.
6) Endlich verloren die Römer bald nach Einführung der Kultur
ihre Freiheit, nachdem sie zuvor Schrecknisse der wüthendsten Bür-
gerkriege erfahren. Wie hätten in solchem Lande die Musen und Gra-