1. Bd. 2
- S. 246
1838 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Rotteck, Karl von
- Auflagennummer (WdK): 13
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
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Erstes Kap. Vürgcrlicher Znstand.
in der detaillirten Geschichte gedacht. Als die Plebejer zu gleichen
politischen Rechten, wie die Patrizier, gelangt waren; so hörte im
Grunde der Zweck des Tribunals ans, oder wurde wenigstens dahin
abgeändert, daß dessen Inhaber nicht mehr die Vertreter der Plebs
gegen die Patrizier, sondern überhaupt der geringeren Burger
gegen die vornehmeren oder gewissermaßen, nach einer unseren
neueren Verhältnissen mehr verwandten Ansicht, der Regierten ge-
gen die Regierenden waren. Sie begnügten sich aber nicht damit,
Vertreter zu scyn. Denn seitdem die comitia tribuía gewöhnlich,
und plebiscita dasselbe, wie populiscita, waren; so konnte man die
Tribunen gewissermaßen als Depositärs der ganzen Volksgewalt be-
trachten, indem es ihnen nicht schwer war, den Willen dieses Volkes
auf den von ihnen beherrschten Comitien nach Gefallen zu lenken. So-
nach waren sie Gesezgeber, wahre Oligarchen und der That nach
weit mehr, als die Cousuln an der Spize des Staates. Auch gc-
sezlich und dem Aeußeren nach hatte ihre Macht und Ehre all-
mälig zugenommen. Daher geschah cs, daß wohl auch Patrizier von
Plebejern sich adoptiren ließen, um zu einem so wichtigen Amte ge-
langen zu können. Auf die Tribunen waren alle Hoffnungen und
Besorgnisse der Patrioten, so wie der Ehrsüchtigen, gerichtet; alle
andere Magistrate erzitterten vor ihnen (*), und wir haben gesehen,,
wie oft — neben manchen unbedeutenden Tribunatcn — durch ein es
Tribuns Verwegenheit und Einfluß der Staat erschüttert, ja gar um-
gestaltet worden.
§. 12. Beurtheilung.
Wenn wir dies Alles zusammcnnehmen; so sehen wir in Rom
eine künstliche Mischung monarchischer, aristokratischer und demokrati-
scher Formen. Die Macht des Eonsulats — wenn auch mit vieler
Vorschrift beschränkt — verlieh, wie cs der Theorie nach scyn soll,
der Regierung, zumal im Kriege, die Einheit und Energie des
Königthums. Die Weisheit des aristokratischen Senates und
seine perennirende Gewalt gaben — bei allem Wechsel der Magistrate
und der Unstätigkeit des Volkswillens — den Staatsmarimcn Festig-
keit, den Maßregeln Zusammenhang, dem ganzen Reiche einen beharr-
(«) Nachdem Sulla die Tribunen in ihre ursprünglichen Verhältnisse
zmmckgebracht hatte, wurden sie soäler von Pom pejus wieder erhoben. Er
büßte für diesen Schritt, da Casar nur durch dieilntersiüzung der Tribunen
sein Sieger wurde So ungemejsen war die Macht der Tribunen, daß chl
6u3 Einer derselben »Flavins) den Conüil Metellus, der nicht^unbedingt
seinem Willen folgte, ins Gefängniß warf, und, als der ganze Senat dem
Conüil dabin folgen wollte, seinen Stubl vcr die Thüre des Gefängnisses
sezte, um die Senatoren zurückzuhalten. (Bio I. 37, L2.)