1. Bd. 2
- S. 247
1838 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Rotteck, Karl von
- Auflagennummer (WdK): 13
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
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Staatsverfassung inib Regierung.
lichen Schwerpunkt. Die Volkssou ver ai ne tat aber wurde er-
halten und ausgeübt in den Eomitien, denen nicht nur die Gesezgc-
bung, sondern auch die besonders wichtigen Regierungs sachen,
die Wahl aller hohen Magistrate, ja selbst ein Theil der Gerichts-
barkeit, überlassen blieb. Viele Schriftsteller, auch Ioh. v. Müller,
haben in solcher Vertheilnng der Gewalten eine"bewnndernngcwür-
dige Vortrefflichkeit" erkannt. Andere (wie Herder) erklärten die
römische Verfassung "für eine der unvollkommensten auf der Welt,
entsprungen ans rohen Zeitnmständen, nachher nie mit einem Blicke
auf's Ganze verbessert, sondern immer nur parteiisch so und anders
geformt." — Auf welche Seite wird die Entscheidung fallen? — So
viel ist gewiß — nicht nur die Theorie, auch die Erfahrung hat cs
gezeigt —, daß düse hochgepriesene Verfassung wesentliche Gebrechen und
fast unheilbare Grundübel enthielt, und daß sie — vielleicht mehr, als
irgend eine andere — die republikanische Tugend der Bürger,
auch Talent und Rechtlichkeit der Magistrate als Bedingung ihrer Halt-
barkeit und ihrer Güte voraussczte (*). Der beste Eonsnt — abgesehen
von allem Uebrigen — konnte schon durch einen schlechten Kollegen
ausser Stand gesezt werden, das Staatswohl zu fördern. Das An-
sehen des Senats nährte den Stolz seiner Glieder, erbiclt untar allen
demokratischen Formen die Gehässigkeit der Aristokratie und die feind-
selige Entgegensezung, die unablässige Reibung zweier Parteien, der
Vornehmen und der Geringen. Das Volk endlich tvittc zu viele Gewalt.
Es läuft gegen den Begriff des Rechtes, d.iß das Volk selbst in
Staatsverbrechen, sonach in eigener Sache, Richter s.y. Die Ma-
gistrate, und die cs zu werden wünschten, hatten zu viele Aufforde-
rung, demselben zu schmeicheln, durch ungerechte oder gefährliche Vor-
schläge seine Gunst zu erkaufen, und dabei die Leichtigkeit, cs oftmals
durch das Organ seiner unmittelbaren Häupter, der Tribunen, zu
den verderblichsten Beschlüssen zu verleiten. Ueberall waren die Grenzen
der einzelnen Gewalten nicht gehörig bestimmt; sie griffen gegenseitig
eine in das Gebiet der andern ein; Kollisionen waren unvermeidlich.
Bei den besten Zwecken mußte man zu Ränken, zu Täuschungen, oft
zur Gewalt seine Zuflucht nehmen; es war ein unaufhörliches feind-
seliges Treiben unter einander. Die Bürger wurden ihres Daseyns
nicht froh (**). Endlich kam allzuviclcs auf den Charakter und die
(') Wenn nun — nach Kant — die bese Persassuna diejeniae ist, wor-
unter auch Leusel rnbig und friedlich zu leben vermögen: welches llrtbeil ist
von jener zu fallen, welche blos für tugendbafte B'"ger lang,?
, (**)Neckt bemerkt Mably, daß schon die blisen Maralien
eines Livius, welche nichts, als eure trauriae Abwechslung von inneren Stur-
men und äußeren Kriegen (auch diese flvsien aus der Verfassung) enthalten.