1. Bd. 2
- S. 283
1838 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Rotteck, Karl von
- Auflagennummer (WdK): 13
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
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Allgemeiner Ucberblick.
Uebungen — waren mehrere Spiele — wie die pythischen — aus-
schließend, oder wenigstens vorzugsweise, gewidmet. Zwar erlangte
niemals der Dichter, der die beste Hymne gesungen, oder der Tonlünst-
ler, der die schönste Melodie erdacht, die ausschweifende Lobpreisung
Desjenigen, der am schnellsten das olympische Stadinm durchlaufen (*):
aber dennoch Ruhm genug, um die Seele der Preiswerber durch Nach-
eiferung zu entzünden, und ihr Genie znm kühnsten Fluge zu starken.
Zudem waren solche Spiele für sich selbst, als Schauplaze aufgereg-
ter Leidenschaften, so wie unverhüllter Menschenformen und lebendi-
ger Kräfte, als Versammlungspnnkte ungezählter Volkshaufen ans
alten Ländern der griechischen Zunge, auch für die trägste Phantasie
erhebend, für die reizbare begeisternd. Endlich fanden hier der Redner,
der Philosoph, der Historiker, so auch der bildende Künstler, die herr-
lichste Gelegenheit, die Schöpfungen ihres Genies — wenn sie auch
ohne Beziehung auf den eigentlichen Wettkampf waren — einer ge-
drängten und geschmackvollen Versammlung vorzulegen, und durch
ihren lohnenden Beifall zu neuer Anstrengung sich zu ermuntern.
Von diesen griechischen Spielen waren die r ö m i sch e n durchaus
an Charakter und Zweck verschieden. Die griechischen Athleten waren
freie Bürger; an einigen Spielen nahmen die vorneh msten Män-
ner, ja selbst Könige der griechischen Zunge, wenigstens durch Stell-
vertreter, Theit. Bei den Römern waren die Spiele blose Volksbe-
lustigung, die durch gedungene Leute vom niedrigsten Pöbel oder durch
abgcrichtete Sklaven geschah. Anstatt, wie bei den Griechen, die edle
Ruhmbegierde zu entzünden, durch Wetteifer das Talent zu erhöhen,
und ein Band der Vereinigung für freie Völker zu scyn, bewirkten
die römischen Spiele späterhin das Vergessen der Freiheit, und nähr-
ten zugleich die Frivolität und die Barbarei des Charakters. Von
den Ausschweifungen und den selbst staatsvcrderblichen Faktionen
des Circus wird noch in der späteren Kaisergeschichte die Rede seyn.
Eine noch schärfere Rüge verdienen die amphitheatralischen
Spiele, welche wir schon in den Zeiten der Republik in ihrer empö-
renden Abscheulichkeit erblicken. Im 490stcn Jahre nach Erbauung der
Stadt wurden znm erstenmal öffentliche gladiatorische Spiele gege-
den. Als eine barbarische Privatleichenfeier waren sie schon von
(*) Wahrhaft abenteuerlich ist die Ehre, die solchen olympischen Siegern
widerfuhr. Sie wurden von den größten Dichtern besungen, in die Annalen
verzeichnet, im Triumphgepränge von ihren Mitbürgern eingeholt, oft mit
reichen Gaben belohnt und lebenslang verehrt. Es war unmöglich für den
Retter des Vaterlandes niehr zu thun. Aber gerade durch solche Ver-
herrlichung der olympischen Sieger übte und vervollkoirmmete sich die bildende
und redende Kunst.