1. Bd. 1
- S. 96
1824 -
Ilmenau
: Voigt
- Autor: Thieme, Moritz
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
Karl! wie schön ist es hier! Alles, alles kann ich hingeben, nur das
Gefühl nicht, welches ich jetzt habe."
Schillers Aeltern wohnten in den Jahren 1765 — 68 in dem
würtembergischcn Grenzdorfe Lorch, und hier erhielt unser Friedrich
den eigentlichen ersten Schulunterricht von dem Prediger Moser, mit
dessen Sohne Karl er einen recht innigen Freundschaftsbund schloß.
Ueberhaupt offenbarte sich immer mehr und mehr etwas Herzliches
in seinem ganzen Wesen und sein Sinnen und Treiben schien etwas
Höheres und Größeres zu verrathen. Dennoch ließ sich noch nicht
sagen, wie sich diese hervorbrechende Kraft dereinst gestalten und,
welche Fächer des menschlichen Wissens der junge Schiller vor allen
Andern lieb gewinnen würde.
So viel war gewiß, daß ein warmer Geist der Religion das
Innere des Knaben mild durchwehete. Der kleine Friedrich las
steißig in der Bibel, Luthers und Paul Gerhards Gesänge, und
diejenigen, welche ihm am besten gefielen, bewahrte er treu in sei-
nem Gedächtnisse. In dem alten Testamente der heiligen Schrift
hatten die Psalmen und der kühne Jesajas besondern Reiz für ihn:
vor Allen aber zog ihn die glanzende und ungebundene Phantasie
des Propheten Ezechiel an.
So lebte der fromme Knabe überschwenglich reich und froh irr
seinen heiligen Bildern und Gefühlen, bis seine Aeltern im Jahre
1768 nach Ludwigsburg zogen. Hier sah der neunjährige Knabe
zum ersten Male ein Theater und zwar so glanzend eingerichtet, als
es die Prachtliebe des Herzogs Karl nur immer erforderte. Nun
erinnert Euch, 'Ihr lieben, jungen Leser! die Ihr schon ein Mal
ein Theater besuchtet, wie es Euch selbst erging, als Ihr das erste
Mal vor der Schaubühne voll freudig unruhiger Erwartung saßet
und endlich, endlich der, die wunderbare Welt verhüllende, Vorhang
emporrauschte! — Ich selbst werde diesen Eindruck nie vergessen,