1862 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt: Zeit: Mittelalter
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Ii. Die Völkerwanderung.
t
fern Strome zusammen und bat flehentlich, sie aufzunehmen; für Wohn-
sitze, wo sie gegen ihre furchtbaren Feinde sicher wären, versprachen sie
dem Kaiser, treue und ergebene Streiter zu sein. Der Kaiser, von
schlechten Rathgebern geleitet, im thörichten Wahne, durch die Gothen
ein zahlreiches, unbesiegbares Heer zu erhalten und mit dessen Hülfe
seinen Thron gegen seine beiden Neffen im Occident desto mehr zu be-
festigen, gab Befehl, das ganze westgothische Volk über die Donau nach
Thracien übcrzusetzen. Eine große Flotte von Schfffen, Nachen und
hohlen Baumstämmen setzte unausgesetzt viele Tage und Nächte hindurch
die zahllose Menge über den Fluß. Ganz Thracien war von einer
neuen ungeheuren Bevölkerung angefüllt, denen der Kaiser Lebensmittel
gegen eine mäßige Bezahlung zu reichen befahl. Aber die geizigen
Statthalter von Thracien, Lupicinus und Maximus, suchten diese Gele-
legenheit zu benutzen, sich zu bereichern. Sie ließen auf den Markt
nicht nur schlechtes Fleisch von Schafen und Ochsen bringen, sondern
selbst todte Hunde und Katzen und verkauften diese schlechten Lebens-
mittel um einen solchen theuren Preis, daß zuletzt die Gothen, um nicht
Hungers zu sterben, für eine elende Nahrung Sclaven, Söhne und
Töchter hergeben mußten. Da sie um sich überall den größten Neben-
fluß an Lebensmitteln sahen und sie mitten im fruchtbaren Lande durch
den Hungertod bedroht wurden, so fingen sie an zu murren und dro-
hende Bewegungen zu machen.
Täglich sahen die Römer mehr ein, wie unklug es gewesen war,
eine so ungeheure Menge von Barbaren, die durch nichts im Zaum
gehalten werden konnte, ausgenommen zu haben. In der Nähe von
Marcianopel, wo Lupicinus in der Eile Truppen zusammen gezogen
hatte, lieferte er mit mehr Unbedachtsamkeit als Ueberlegung den ge-
reizten Feinden eine Schlacht. So tapfer die römischen Legionen kämpf-
ten, so vermochten sie doch nicht, der ungestümen Wuth der Feinde zu
widerstehen, und Lupicinus, der Urheber dieses Krieges, überließ durch
seine Flucht nach Marcianopel das römische Heer seinem Schicksal und
den Gothen den Sieg, reichliche Beute und römische Waffen, so daß
sie nun jetzt doppelt furchtbar erschienen.
Valens, der sich gerade in jener Zeit in Antiochien aufhielt, be-
schloß, diesen Aufstand der Gothen mit Gewalt der Waffen zu bekäm-
pfen. Er zog die Legionen, welche gegen die Perser in Armenien auf-
gestellt waren, von dem Euphrat weg und schickte sie nach Thracien;
er selbst machte sich auf den Weg nach Constantinopel, um die Leitung
des Krieges in eigener Person zu übernehmen.
Es war am 9. August 378 n. Ehr., als Valens Gepäck, Schätze
und sonstige Sachen von Werth im Lager von Adrianopel einigen
Legionen zur Bewachung zurückließ und gegen die Feinde rückte. Durch
einen Fehler kam die Reiterei des rechten Flügels in das Angesicht des
Feindes, als der linke noch ziemlich weit entfernt war, daher mußten
die Soldaten in der Sonnenhitze in der größten Eile marschiren, um
eine gehörige Schlachtordnung anfzustellen. Die ostgothische Reiterei