1862 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt: Zeit: Mittelalter
- Geschlecht (WdK): Jungen
164 Zweiter Zeitraum des Mittelalters: 752—1096.
die Grenzen des Frankenreichs berührten. Bald waren sie gefürchtete
Feinde aller ihrer Nachbarn, denn in jeder kriegerischen Tugend zeich-
neten sie sich aus. Herzhaft im Angriff, ausdauernd in Beschwerden,
vorsichtig gegen Listen des Feindes, sehr gewandt im Benutzen seiner
Schwächen, so unbändig sie sonst waren, doch im Kriege strenger Zucht
gehorchend, blieben sie im Kampfe fast immer Sieger, zumal ihre Kriegs-
führung eigenthümlichster Art war. Nicht in großen geschlossenen Reihen
rückten sie an, sondern in vielen kleinen getrennten Heerhaufen, die nur
scheinbar ein Ganzes bildeten, und nie vergaßen sie, einen Theil des
Heeres sich im Hinterhalte zu bewahren. Der Sieg täuschte den Geg-
ner, und oft erlitt dieser mitten im geträumten Triumphe durch einen
plötzlichen Ueberfall eine ungeheure Niederlage. Die Magyaren kämpf-
ten auf Rossen, die durch große Panzer gedeckt waren, und tummelten
mit unglaublicher Gewandtheit die trefflich geübten Thiere. Obwohl
sie Schwert und Wurfspieß führten, war ihre Hauptwaffe doch der Pfeil,
den sie mit der größten Sicherheit im Sturme des Rosses von dem
hörnernen Bogen entsandten; er gehorchte ihnen nicht minder beim Ein-
rennen auf den Feind, wie auf der eiligen Rückflucht. Grausam im
Kampfe, schonungslos waren sie im Benutzen des Sieges. Erbarmen
gegen den überwundenen Feind war ihnen fremd, wer sich ihnen ent-
gegenstellte, wurde erschlagen; cs soll unter ihnen der Glaube geherrscht
haben, die auf Erden ihrem Schwerte erlegen seien, würden ihnen im
Himmel als Sclaven dienen. So besiegten sie nicht nur ihre Feinde,
sondern vernichteten sie, und wohin sie ihre Rosse lenkten, machten sie
den Boden zur traurigsten Einöde.
Als im Jahre 895 die Ungarn zu neuen Beutezügen nach Abend
ausgeritten waren, fielen die Petschenegen unerwartet in die unverthei-
digten Sitze derselben ein, hieben die spärliche Besatzung, die Weiber
und Kinder nieder, bemächtigten sich der Heerden und setzten sich indem
eroberten Lande fest. Der öfters erprobten Uebermacht dieses Feindes
wichen die Ungarn und standen von der Rückkehr in ihre alte Heimat
ab. Sie zogen die Donau hinauf, nicht mehr, um plündernd diese Län-
der zu verwüsten, sondern um sich dort neue Wohnsitze zu suchen. Durch
die Grenzmarken des Frankenreichs nahmen sie im Jahre 899 ihren
Weg nach Italien und verheerten die schlecht vertheidigte lombardische
Ebene von der Küste des adriatischen Meeres bis zu den Schneegipfeln
des großen Bernhard. Mord, Brand und Verwüstung bezeichneten
überall ihre Straße.
Als die Magyaren mit reicher Beute beladen von diesem Zuge in
ihre neue Heimat zurückgckehrt waren, hörten sie, daß ein Knabe auf
den fränkischen Thron erhoben sei und brachen unverzüglich in die baie-
rische Ostmark ein. Während sie Kärnthen plünderten, Italien aber-
mals heimsuchten, richteten sie ihre Hauptangriffe gegen das mährische
Reich und im Jahre 906 waren alle Länder, die Swatopluk einst be-
herrscht hatte, ihnen völlig erlegen. Im folgenden Jahre wandten sie
sich abermals und mit stärkerer Heeresmacht als früher gegen Baiern.