1864 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Geschlecht (WdK): Jungen
64. Der spanische Erbfolgekrieg. 411
das Recht seiner Gemahlin auf die spanische Krone festgehalten und
wollte zugleich für den Beschützer des Katholicismus gelten, dessen Vor-
thcil die romanische Welt in dem Zusammenhalten des Ländcrcomplexes
der spanischen Monarchie erblickte. So wirkten also drei Umstände: die
Machtvergrößerung Frankreichs, das kirchliche und das dynastische In-
teresse zusammen, um den König zu vermögen, daß er über die Ver-
pflichtungen, die er gegen die Seemächte eingegangen war, hinwegsah
und sich zu der Annahme des Testamentes entschloß.
Philipp, Herzog von Anjou, nun König von Spanien, erschien als
die tadelloseste Persönlichkeit in der ganzen Familie Ludwig's Xiv.
Er legte Mitgefühl für Andere an den Tag, war der freigebigste und
zuverlässigste von Allen; niemals wäre eine Unwahrheit über seine
Lippen gekommen; eine solche auch nur zu hören, erschien ihm als
eine Verunreinigung. In seinem Gesichte meinte man die Züge des
Hauses, aus dem seine Großmutter und die Mutter seines Großvaters
stammten, wiederzuerkennen; zu einem Fortsetzer des österreichischen
Hauses in Spanien schien er wie von Natur bestimmt zu sein. Am
23. Januar 1701 verkündigten die Kanonen von Fuenterabia, daß der
neue König von Spanien in seinem Reiche angckommen sei. Weder
auf der Halbinsel noch in den Nebenlanden regte sich der mindeste
Widerspruch; das Fortbestehen der spanischen Monarchie und der Union
mit Frankreich erschien gesichert.
Bald aber bildeten sich zwei große Coalitionen zur Entschei-
dung aller großen, seit so langer Zeit angeregten Fragen. Auf der
einen Seite stand Frankreich mit Spanien, als seiner dynastischen Se-
cundogenitur; ihnen trat zunächst der Kurfürst von Baiern bei, der
die Regierung der Niederlande im Namen der spanischen Krone ver-
waltete, und über die Ansprüche seines Sohnes mit dem Kaiser in
bittern Hader gerathcn war, wogegen ihm Frankreich alles zusichertc,
was er über Oesterreich gewinnen würde. Seiner Politik schloß sich
sein Bruder, der Kurfürst von Köln, au und der Herzog von Savoyen
wurde für die Allianz gewonnen dadurch, daß man seine Tochter zur
Gemahlin des neuen Königs von Spanien bestimmte. Auf der andern
Seite fand der Kaiser Leopold nicht nur Bundesgenossen an den beiden
deutschen Fürsten, die ihm ihre Standescrhöhung verdankten, dem neuen
Kurfürsten von Hannover und dem Könige von Preußen, sondern auch
die beiden Seemächte, verletzt durch die Aufgcbnng des Theilungsver-
trages und in der Ueberzeugung, daß die Combinatiou der französisch-
spanischen Macbt ihrem Handel gefährlich sein werde, näherten sich
dem Kaiser so weit, daß sie zwar nicht seinem Hause die Vcrthcidigung
seiner Ansprüche auf die ganze spanische Monarchie zusagten, aber doch
ihm die italienischen Nebenländer verschaffen wollten, wofür der Kaiser
ihnen alles überließ, ^vas sie in Westindien erobern würden. Wilhelm
Hi-, der eigentliche Stifter der großen Allianz gegen Frankreich, fand
zwar Anfangs im Parlamente lauten Widerspruch gegen den Krieg,
als aber Ludwig Xiv. bei dem Tode Jakob's Ii. durch Anerkenuung