1864 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Geschlecht (WdK): Jungen
64. Der spanische Erbfolgekrieg.
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Von jenem Einfälle in das südliche Tirol war Vendomc im Sep-
tember 1703 abberufen worden, um den Herzog von Savoyen, der
sich zu den Verbündeten geschlagen hatte, zu bekämpfen. Von der fran-
zösischen Seite war dem Herzoge zugemnthet worden, nur eine be-
stimmte kleine Anzahl Truppen im Felde zu halten und einige seiner
Plätze auszuliefern; von den Kaiserlichen dagegen ward ihm eine an-
sehnliche Hütfeleistung und für die Zukunft eine Vergrößerung seines
Gebietes verheißen. Wie konnte er da noch zweifeln, auf welche Seite
er sich zu schlagen habe? Die Absicht der Franzosen war^hieraus,
dem Herzoge die festen Plätze zu entreißen, auf denen seine Selbstän-
digkeit und seine militärische Bedeutung in der Lombardei beruhte.
Trotz der Hülfe, welche ihm von den Kaiserlichen geleistet wurde, ver-
lor er einen nach dem andern. Die französische Herrschaft über Italien
schien unerschütterlich fcstgestellt zu sein, wenn es nun gelang, auch die
piemontefische Hauptstadt zu erobern. Vendome drang bei dem Könige
auf die Belagerung von Turin: auch gab er den Mann an, der sie
führen sollte, den Duc de Feuillade, Schwiegersohu des Kriegsministcrs
Chamillard, wohl um desto sicherer auf die kräftigste Unterstützung
rechnen zu dürfen.
Eben so aber mußte es nun die Absicht der Verbündeten sein, die
Eroberung Turins zu verhindern. Im Mai 1705 erschien Prinz
Eugen abermals au der Spitze der kaiserlichen und deutschen Truppen
in Italien. Bei einem Zusammentreffen der beiden Heere bei Cassano
behaupteten die Franzosen, obgleich die Kaiserlichen Sieger zu sein
meinten, doch das Schlachtfeld.
Eugen verzweifelte an der Möglichkeit einer Unternehmung, aber
der Kaiser hatte ihm gesagt, er solle lieber den letzten Mann seiner
Armee daran wagen, als den Ersatz unversucht lassen. Und eben
langten die erwarteten Verstärkungen aus Deutschland an; sächsische,
pfälzische, hessische Truppen, vor allen die Preußen unter dem Fürsten
Leopold von Anhalt; eben durch jene von Vendome vor anderthalb
Jahren vergebens angegriffenen tiroler Thäter zogen sie heran.
Eugen konnte endlich zur Offensive, zur Befreiung Turins schreiten.
Die Aufgabe war immer äußerst schwierig. Um nach Turin zu ge-
langen, mußte man die ganze lombardische Ebene durchziehen, die be-
kanntlich von Norden nach Süden durch die Etsch, sodann durch die
verschiedenen Nebenflüsse des Po, durchströmt wird, deren jeder den
Franzosen eine neue Vertheidigungslinie darzubieten und Eugen's Vor-
rücken endlos zu erschweren drohte. Daher drang der Prinz im Mai
1706 auf dem linken Etschufer nach Süden vor und schritt zur Aus-
führung eines Planes, der alle jene Schwierigkeiten mit einem Schlage
beseitigte, und 90 Jahre später von Napoleon I. in umgekehrter Rich-
tung mit gleichem Erfolge wiederholt worden ist. Unter den Augen
des überraschten Gegners überschritt er nicht die mittlere, sondern die
untere Etsch, gelangte dann fast ohne Kampf auch über den untern Po,
und drang nun im Süden dieses Stromes, durch keinen irgend erheb-
Pütz, H'stor. Darstell. u. Charakteristiken. Iii. 27