1864 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Geschlecht (WdK): Jungen
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84. Joseph Ii.
als politische Gesandte an den Höfen, an welchen sie residirten. Gleich
im Beginn dieser kirchlichen Anordnungen kündigte Papst Pins Vi. zur
großen Ueberraschung des Kaisers an, daß er persönlich nach Wien
kommen werde. Dem Kaiser war dies ungelegen, er wollte dem Besuche
Vorbeugen. Auch mehrere Cardinäle widerriethen die Reise. Pius
Vi. aber vertraute auf den Zauber, der in seiner Würde lag, auf
seine einnehmende Persönlichkeit, er hoffte die Menge zu begeistern, den
Kaiser zu entwaffnen. Die Reise glich wirklich einem Triumphzuge.
Joseph selbst, der dem Papste entgegengefahren war, führte ihn in
Wien ein; und während eines vicrwöchentlichen Aufenthaltes daselbst
waren die Bewohner der Stadt und Umgegend in unaufhörlicher Be-
wegung, um seines Segens theithaftig zu werden. Das Zuströmen der
Fremden in Wien war so groß, daß man Mangel an Lebensmitteln
befürchtete. Die Feierlichkeiten des Osterfestes, die Communion und
das Fußwaschen am grünen Donnerstage in der Stephanskirche gaben
dem Papste Gelegenheit, seine hohepriesterliche Würde in verschiedenen
Stellungen immer gleich vortheilhaft zu zeigen; er erschien im vollen
Ornate, die dreifache Krone auf dem Haupte, drei Cardinäle und zwei
Bischöfe zur Seite, auf dem Altan der Jesuitcnkirche, vor welcher 50,000
Menschen gedrängt standen, setzte sich auf einen dort errichteten Thron
und stimmte mit weit hallender Stimme die Absolutionsformel an,
welche die Hof-Chorsänger fortsetzten. Als er darauf, nach Ablegung
der Krone, an die Brüstung trat, mit andachtverklärtem Auge ein
inbrünstiges Gebet sprach, dann aber gegen die zur Erde gesunkenen
Tausende die Rechte erhob, um sie im Namen des dreieinigen Gottes
zu segnen, da wurden auch solche, die ihn nicht als ihren Oberhirten
verehrten, wider ihren Willen von dein Gefühle der gläubigen Menge
ergriffen. Die Menge hatte der Papst allerdings begeistert, das ka-
tholische Gefühl neu belebt und so einen Zweck seiner Reise erreicht,
aber der andere Zweck, den Kaiser umzustimmen, ihn auf dem Wege
kirchlicher Reformen aufzuhalten, scheiterte gänzlich.
Kaiser Joseph überhäufte den Papst mit Ehrenbezeugungen aller
Art; aber auf Verhandlungen ließ er sich nicht ein. Er bat den Papst,
seine Erinnerungen schriftlich mitzutheilen, er glaube übrigens, daß seine
Verordnungen die katholische Lehre gar nicht beträfen, und er werde
sie mit unerschütterlicher Standhaftigkeit fcsthalten. Als der Papst
Wien verließ, um über München noch Rom zurückzukehren, begleitete
ihn der Kaiser bis Mariabrunn. Sie trennten sich nicht ohne Rüh-
rung; aber noch am selben Tage erschienen kaiserliche Commissaricn im
Kloster Mariabrunn und hoben es auf. Zwischen dem kaiserlichen und
dem päpstlichen Hofe hatte ein lebhafter, gereizter Briefwechsel Statt;
man befürchtete einen Bruch, als Kaiser Joseph plötzlich unerwartet in
Rom erschien. In einem Gespräch daselbst mit dem spanischen Ge-
schäftsträger, Ritter von Azara, traten des Kaisers geheimste Gedanken
an das Licht; er theilte dem Spanier mit, daß er das Kirchenwesen
seiner Monarchie gänzlich von Rom losreißen, die Oberherrschaft Roms