1867 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): Jungen
318 31. Der Antagonismus der russischen und englischen Politik in Asien,
a. Die Kämpfe in und um Afghanistan.
Die Wirren in Afghanistan waren den Umtrieben günstig. Ehe-
mals von Persien abhängig, hatte es um die Mitte des vorigen
Jahrhunderts seine Unabhängigkeit erkämpft. Nur in Herat herrschte
noch der Schah Kamran; in Kabul dagegen und den übrigen davon
abhängigen Bezirken herrschten die Baraksis unter Dost-Mohammed,
nachdem sie Kamran's Oheim, den Schah Schudschah, nach Lahore
vertrieben. Rußland stellte sich nun auf die Seite der Baraksis,
der rebellischen Usurpatoren, und wollte den Schah Kamran aus
Herat vertrieben wissen; England wollte den Schah Schudschah wieder
in Kabul hergestellt sehen.
Au Herat lag der russischen Politik ungemein viel, weil es die
Straße von Persien nach Indien beherrschte. Deßhalb wiegelte sie
sowohl den Dost-Mohammed von Kabul, wie den Thronfolger von
Persien, Abbas-Mirza, gegen Kamran auf. Wirklich ließ sich Abbas
Mirza 1833 zu einem Eroberungszuge gegen Herat überreden; er
mißlang, weil Kamran durch die Engländer nachdrücklicher unterstützt
wurde, wie Abbas Mirza durch die Russen. Schon 1838 wurde
ein zweiter Zug gegen Herat mit einem Heere von 60,000 Mann
unternommen, er begann unter Siegeshoffnungen und endete mit
einem trostlosen Rückzüge. Diesen Erfolg hatte Herat dem Bei-
stände der Engländer zu danken, die mit Kamran einen Vertrag
abschlössen, wonach dieser sich verpflichten mußte, in keine Verbindung
mit den westlichen Staaten sich einzulassen und den Schah Schudschah
als Beherrscher von Kabul anzuerkennen.
Mittlerweile war zwischen Dost-Mohammed, der sich 1835 zum
Könige von Kabul hatte krönen lassen, und Runghit-Singh von La-
hore ein Streit über den Besitz von Kaschmir und Peschawer ausge-
brochen. Dost-Mohammed wurde von Rußland zum Kriege gegen
Lahore angefeuert. Vergeblich suchte Alexander Burnes als englischer
Commissar zwischen Sikhs und Afghanen zu vermitteln. Lord Auck-
land, der General-Gouverneur von Ostindien, erklärte 1838 den Krieg
an Dost-Mohammed von Kabul, sich berufend auf die Allianz mit
Lahore, auf die feindseligen Absichten der Baraksi-Dynastie gegen
Indien und auf die rechtmäßigen Ansprüche Schudschah's auf den
ersten Thron von Afghanistan. Unaufhaltsam drangen die Heeres-
Colonnen der Ostindischen Compagnie, 26,000 Mann stark, vorwärts.
Am Sudledge-Fluß besiegelte Lord Auckland den Bund mit Runghit-
Singh durch eine persönliche Zusammenkunft im November 1838;
Ende December traf Auckland in Lahore ein. Das nächste Ziel der
Operationen war Kandahar. Nach unsäglichen Beschwerden rückte
man am 21. April 1839 in Kandahar ein, wo Schah Schudschah
gekrönt wurde. Nun setzte man sich gegen Kabul in Bewegung; die
Festung Ghizni wurde erstürmt, durch General Keane Kabul einge-
nommen; Dost-Mohammed, von seinen Truppen verlassen, ergriff die