1861 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Antike
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Vii. Die Aegyptier.
Empfindung des Göttlichen und Wunderbaren in der Thiernatur mit
dem eigenen inneren Leben der Menschen durch die Seelenwauderung
vermittels geheimer Bande verbunden, so hörte das Grauen vor dem
Thierischcn, z. B. beim Krokodile, ans, und Nützliches wie Schädliches,
Muth wie Schlauheit, gewannen einen geheimnißvollen Reiz, als Ver-
kleidung menschlicher Gemüthsart und Zustände.
Der wahre Sinn der berühmten Stelle Herodot's (Ii, 123) über
den eigentlichen Grund der ängstlichen Sorge der Aegyptier für die
Erhaltung und gleichsam Unvergänglichkeit des Leichnams kann also kein
anderer sein, als daß nach ägyptischem Glauben die Seele beim Schei-
den vom tobten Körper, mit gar seltenen Ausnahmen, eine Wanderung
durch Thierkörper während 3000 Jahren antrcten muß, ein Zeitraum,
welchen Plato ebenfalls für die Seelenwanderung entnimmt und den
Kreislauf der Nothwendigkcit nennt, nach pythagoreischem Gebrauche.
Die Seele fährt nämlich beim Tode ihres Leibes in irgend einen thie-
rischen gerade in dem Augenblicke entstehenden Körper, ehe sie wieder
in den menschlichen Körper, auf gleicher oder höherer Stufe, zurückkehrt
oder in Osiris ruht. Daß nun die Seele in diesem ihrem Schicksals-
laufe gestört oder gehindert werde, wenn ihr altes menschliches Gefäß
nicht erhalten bleibe, war entschieden der Volksglaube der Aegyptier;
ohne Zweifel, verglichen mit dem ursprünglichen Sinne der Priester-
lehre, ein grober Aberglaube, aber ein den Gesetzgebern, und nament-
lich im dichtbevölkerten Aegypten, sehr heilsam scheinender. Eben so
war es mit dem Glauben der Gri-echen und Römer an die Nothwen-
digkeit der Bestattung für die Einkehr der Seele in die unsichtbare
Geistcrwelt.
Des Menschen Seele ist, nach der Aegyptier Glauben, göttlich
und also unsterblich. Sie hat eine persönliche, sittliche Verantwortlich-
keit zu tragen. Heillose Thaten verbannen sie von Gottes Angesicht;
verzeihliche Sünden schiebt der Glaube auf den Leib, der dafür auch
der Vernichtung Preis gegeben wird. Der gerechtfertigte Mensch ist
sich bewußt, ein Sohn Gottes zu sein, bestimmt, Gott zu schauen am
Ende seiner Wanderung.
Aus der Anschauung der Verbindung des Glaubens an die Un-
sterblichkeit mit dem Glauben an die Seelcnwanderung durch die Thier-
körper erklärt sich also der Thierdienst und die Darstellung der mensch-
lich gebildeten Gottheiten mit Thierköpfen, aller, außer Osiris; der
Gott der Geisterwelt, der Richter der Seele, ist nur Mensch. In je-
dem Thiere wohnt dem Aegyptier etwas Göttliches; einige, Stier und
Bock, waren unmittelbare Symbole der Naturkraft; in allen aber konnte
die Seele eines Vorfahren weilen auf ihrer sühnenden Wanderung.
Nur jener Zusammenhang des Thierdienstes mit dem Unsterblich-
keitsglauben und der Idee der Seelenwanderung erklärt die seltsamsten
Erscheinungen dieses ägyptischen Symbolismus: so die feierliche und
kostbare Bestattung und Aufbewahrung der Mumien der heiligen Thiere,