1861 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Antike
- Geschlecht (WdK): Jungen
51. Die älteste Bevölkerung Griechenlands. 191
Darin stimmen jedoch die meisten Ansichten überein, daß in ihnen
auch wieder die erzeugenden, befruchtenden und fruchtbringenden Kräfte
in der Natur verehrt worden sind, aber dieser Grundgedanke ist durch
eine große Mannichfaltigkeit von Combinationcn so verschieden ausgebil-
dct worden, daß die Kabiren Einigen als die höchsten, überweltlichen
und weltschöpferischen Kräfte, Anderen als untergeordnete Dämonen der
Fruchtbarkeit erscheinen. So erblicken wir Alles, was die Pelasger
betrifft und von ihnen ausgeht, in einem ungewissen Dämmerlichte.
Sie haben unzweifelhafte Spuren ihres Daseins und ihrer Wirksamkeit
hinterlassen, aber wegen des hohen Allerthums, aus dem sie stammen,
fast unkenntlich gewordene und schwer zu deutende.
Wir übergehen die Leleger und einige andere nicht bedeutende
Stämme, die neben den Pelasgcrn als Urbewohner Griechenlands ge-
nannt werden, haben aber die Thracier zu beachten, da sich an sie
ein eigenthümliches Culturelement knüpft. Diese Thracier der mythi-
schen Zeit, die in der macedonischen Landschaft Pierien am Nordabhange
des Olympus ihre Heimat hatten, von wo aus sie nach verschiedenen
Gegenden von Hellas zogen, haben höchst wahrscheinlich mit den bar-
barischen Thraciern in dem Lande dieses Namens nichts gemein. Thra-
cien scheint den ältesten Griechen das unbestimmt gedachte Land im
Norden des ihrigen gewesen zu sein. Pierien wurde damals noch darun-
ter begriffen, bei späterer genauerer Kunde wurden die thracischcn
Grenzen weiter nach Mitternacht gerückt, und so der Name auf ganz
andere Völker übertragen. Die pierischen Thracier waren gewiß ein
den Hellenen nahe verwandter Volksstamm, wie die Pelasger, und wur-
den, wie diese, später zu Hellenen, daher es auch zu erklären ist, daß sie
nur in der mythischen Zeit Vorkommen. Wie die Pelasger als Gründer
der Civilisation zu betrachten sind, welche den Menschen an den Boden
fesselt und die Bedürfnisse des Lebens befriedigt, so diese Thracier als
Urheber der musischen Künste, als Väter der griechischen Poesie. Wir
finden sie am Helikon und Parnaß, den Musenbergen, deren Natur,
deren Wälder und Quellen zum Gesänge begeistern, wo gleichsam der
Gesang der Natur den menschlichen hervorricf. Die ältesten, noch dazu
dem Mythus angehörenden Dichter, Sänger, Tonkünstler werden Thra-
cier genannt. Hieher gehört vor Allen Orpheus, der entweder ein
Sohn des Apollo und der Muse Kalliope heißt, oder, wenn ihm ein
anderer Vater gegeben wird, doch von Apollo die von Hermes erfun-
dene Laute erhalten hat. Was von den Wirkungen erzählt wird, die
er durch die wunderbare Macht ihrer Töne und seiner Stimme her-
vorbrachte, gehört zu den bekanntesten griechischen Fabeln. Er entzückt
die Menschen und zähmt die wilden Thiere, Bäume und Felsen, ihrer
Stelle entrückt, folgen ihm, ja, selbst die unerbittlichen Götter der Un-
terwelt werden von diesem unwiderstehlichen Zauber so ergriffen, daß
sie ihm gestatten, seine schon gestorbene Gattin Eurydice aus dem Schat-
tenreiche in die Oberwelt zurückzuführen. Orpheus ist der rein my-
thische Ausdruck für die von den Göttern stammenden und sich in dank-