1861 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Antike
- Geschlecht (WdK): Jungen
59. Die Verfassung Im homerischen Griechenland. 215
Die Häupter der edlen Häuser bildeu des Königs Rath, seine ßovtf,
und heißen deswegen ßovlrtcpoqoi oder ßovhvml. Auch yiqovxeg werden
sie genannt, welcher Name keineswegs nur die Bejahrten, sondern all-
gemein auch die Geehrten und Angesehenen bedeutet. Mit dem Rath
der Geronten werden alle wichtigeren Angelegenheiten verhandelt. Die
gewöhnliche Form der Berathung scheint diese zu sein, daß die Ange-
legenheiten beim gemeinschaftlichen Mahle an des Königs Tisch verhan-
delt werden. „Lade die Geronten zum Mahle", sagt Nestor zum Aga-
memnon, als er ihm empfiehlt, einen Rath der Edlen zu berufen, um
zu berathen, was in der dringenden Gefahr zu thnn sei.
Auch Versammlungen des gesammten Volkes kommen öfters vor,
doch nicht sowohl um dasselbe über eine Angelegenheit zu befragen und
einen Volksbeschluß durch Abstimmung fassen zu lassen, als vielmehr
um ihm den von den Geronten gefaßten Beschluß bekannt zu machen,
oder es wird das Volk berufen, damit in seinem Beisein über eine
wichtige Angelegenheit, z. B. über Abwehr eines feindlichen Einfalls,
oder über ein Abhülfe forderndes Unheil Rath gepflogen werde, wie
in der von Achilles im ersten Gesänge der Ilias wegen der Seuche
berufenen Heeres-Vcrsammlung. Die Berufung des Volkes zur Ver-
sammlung geht natürlich in der Regel vom Könige ans, nach vorheri-
ger Berathung mit den Geronten. Die Berufung geschieht durch um-
hergesaudtc Herolde. Der Versammlungsplatz ist entweder in der Nähe
der Königswohuung, wie zu Ilium auf der Burg, oder sonst an einer
schicklichen Stelle, wie zu Scheria am Hafen; und er ist auch wohl
mit Plätzen zum Sitzen versehen, weswegen auch Sitzung &6w*og) für
die Versammlung gesagt wird. Wer vor dem Volke reden will, steht
auf und läßt sich vom Herolde den Stab, das Scepter, in die Hand
geben, wohl als Zeichen, daß er als Redner eine Art von amtlicher
Function ansübe. Eine Rednerbühne findet sich nicht; der Redende
tritt hin, wo er meint, am besten von Allen gehört zu werden. Es
ist nicht wahrscheinlich, daß das Recht das Scepter zu empfangen
und zum Volke zu reden Andern als den Edlen zukomme: wenigstens
gibt es kein Beispiel dafür bei Homer. Von förmlicher Abstimmung
des Volkes ist nirgends die Rede; nur durch lautes Geschrei gibt die
Versammlung ihren Beifall oder ihr Mißfallen über das Vorgetragenc
zu erkennen, und wenn es sich um eine Sache handelt, zu deren Aus-
führung die Mitwirkung des Volkes erforderlich ist, so verrüth uns
Homer kein Mittel, wie dasselbe gegen seinen Willen dazu gezwungen
werden könne.
Die zweite Function der Könige ist die richterliche, und wie sie
wegen des Rathpslegenö ßovh^qoi heißen, so werden sie wegen der
Rechtspflege dixaonui.oi genannt. Auch hier aber sind die Geronten
Theilnehmer au dem königlichen Amte, und die Frage, welche Rcchts-
händel etwa der König für sich allein, welche in Gemeinschaft mit den
Gcroulen zu entscheiden habe, ist aus Homer eben so wenig zu beant-
worten, als die andere, ob nicht aus der Zahl der Geronten Einzel-